Tupamaros gehen auf Sendung

Die ehemaligen Stadtguerilleros haben in Uruguay einen Sender gepachtet / Ziel ist es, per Radio breite Teile der Bevölkerung zu erreichen Noch ist der Sender auf Spenden angewiesen, obwohl er bereits zu den meistgehörten im Land zählt / Kommerzielle Anbieter zogen Werbespots zurück  ■  Aus Montevideo Gaby Weber

Mitte Mai war „Radio Panamericana“ gerettet: Die vom Bankrott bedrohte uruguayische Radiostation CX44 erhielt einen neuen Betreiber. Was normalerweise als „Sicherung von Arbeitsplätzen“ gefeiert wird, sorgte diesmal bei der Regierung in Montevideo für heftige Bauchschmerzen. Vorsorglich kündigte sie bereits an, daß sie einem eventuellen Kauf des Radios diverse Hürden in den Weg stellen werde. Grund: Bei den neuen Radiobetreibern handelt es sich um die „Tupamaros“, die „Bewegung der Nationalen Befreiung“ (MLN), die wohl berühmteste ehemalige Stadtguerilla Südamerikas. Nach langen Haftjahren in den Gefängnissen der Militärdiktatur wurden die Tupamaros vor drei Jahren amnestiert und arbeiten seitdem in der Legalität.

Während die Tupamaros früher, als sie noch im bewaffneten Kampf standen, zahlreiche Rundfunkstationen besetzten, um ihre Erklärungen zu verlesen, haben sie diesmal ganz legal einen Pachtvertrag unterschrieben, versehen mit einer Vorkaufsklausel. Unterzeichner des Vertrags ist Diego Piccardo, sowohl Mitglied im Zentralkomitee der MLN als auch in ihrem elfköpfigen Exekutivkomitee. Piccardo hat 15 Jahre für die Bewegung im Knast gesessen und ist heute Chefredakteur der Tupa-nahen 14tägig erscheinenden Zeitschrift 'Mate Amargo‘ („Bitterer Mate-Tee“). Ausgestattet mit einem Startkapital von 2.500 Dollar und vor allem viel Energie der Mitarbeiter, wurde sie vor zwei Jahren auf den Markt geworfen. Heute ist sie mit einer verkauften Auflage von 24.000 Exemplaren die größte Zeitschrift ihrer Art im Land und wirft sogar Gewinne ab.

Mit dem Radio wollen die Tupamaros die breite Bevölkerung von den Haus- und Putzfrauen, den Fabrik- und Landarbeitern bis hin zu den Rentnern erreichen. Denn das Radio hat in dem verarmten Land einen großen Vorteil gegenüber den anderen Medien: es ist umsonst.

Dichtes Netz

elektronischer Medien

Dem Besitzer der Panamericana-Lizenz, dem Clan der Familie Carlos Scheck, gehört auch der TV-Kanal „Tele 12“ und die Tageszeitung 'El Pais‘, beides stockkonservative Medien. Das Radio, das das halbe Land erreicht, war unter den alten Betreibern ein reiner Nachrichtensender, der nach dem kubanischen Vorbild von „Radio Reloj“ rund um die Uhr Informationen ausstrahlte. Zum Schluß waren die Verluste bei über 500.000 Dollar angelangt, der Löwenanteil sind Schulden bei der Rentenkasse. Eine Miete muß für CX44 nicht bezahlt werden, lediglich die laufenden Kosten sind zu tragen.

Uruguay hält den Weltrekord bei den elektronischen Medien. Die drei Millionen Einwohner leisten sich vier Fernsehkanäle, drei private und einen staatlichen, sowie über hundert Rundfunkstationen, die meisten mit begrenzter Reichweite und Hörerschaft. Auf dem Land ersetzen sie sogar die Telefone, über den Äther werden weit auseinanderliegende Landgüter über Impfkampagnen und Besucher informiert.

Das Konzept, auf das die Tupamaros mit dem Radio setzen, heißt: inhaltliche Auseinandersetzung, Kontroverse und Diskussion innerhalb eines breiten politischen Spektrums. Ein Tupamaro-Sender solle „Radio Panamericana“ nicht werden, sagt Alberto Silva, der neue Programmdirektor: „Ich bin weder Tupa noch in irgendeiner politischen Partei. Indem man jemanden zum Programmchef ernannt hat, der in keine Organisationsdisziplin eingebunden ist, hat man ein Zeichen gesetzt.“

Es gibt keine festen Sendeplätze für Parteien, Gewerkschaften, politische oder soziale Gruppierungen, weder für die Tupas noch für das Linksbündnis „Breite Front“, das den ehemaligen Guerilleros bis heute den Eintritt verweigert. „Alle werden in den Sendungen zu Wort kommen. Nichts ist unerträglicher als Hofberichterstattung und Kommunique-Journalismus“, sagt Silva. Um ideologische Kämpfe auszufechten - eins der Hauptziele der Programm-Macher -, kommen Personen mit unterschiedlichen politischen Positionen als Kommentatoren zu Wort - einmal ein Sozialdemokrat, ein anderes Mal ein KP-Mann oder ein Tupamaro.

Die 30 Angestellten der früheren Radiobetreiber wurden übernommen. Silva: „Einen Arbeiter, der die beruflichen Anforderungen erfüllt, aus politischen Gründen zu entlassen, hätte unseren eigenen Prinzipien widersprochen.“ Man habe niemanden nach seiner Parteimitgliedschaft gefragt, obwohl von einigen bekannt sei, daß sie in bürgerlichen Parteien sind. Einer ist sogar „Pachequista“, vom ultrarechten Flügel der Regierungspartei. „Sie werden weder versetzt noch zensiert“, erklärt der Programmdirektor und fügt selbstbewußt hinzu: „Nur den Dogmatikern wird dies Kopfschmerzen bereiten, wir wollen über alles diskutieren.“

Dreimal täglich Nachrichten

„Das heißt natürlich nicht“, betont Silva, „daß 'Panamericana‘ ein rechtes Radio ist, sondern es ist oppositionell und pluralistisch.“ Es kommen Stimmen zu Wort, die sonst stets zensiert wurden oder schlicht keine Nachricht wert waren. Dreimal täglich gibt es eine einstündige Nachrichtensendung, morgens um sieben, mittags um zwölf und um Mitternacht. Der Vormittag wird mit journalistischen Beiträgen über die soziale und politische Lage im Lande, mit Roundtable-Gesprächen und Höreranrufen gefüllt. Alles wird live produziert, vorproduzierte Sendungen gibt es nicht. Am Nachmittag gibt es ein Kulturprogramm und Berichte aus den Stadtteilen, die mit einem Ü-Wagen eingefangen werden. Allerdings kann maximal drei Minuten lang übertragen werden, weil das Gerät im Übertragungswagen dann heiß wird. Am Abend werden Musikprogramme gesendet. Kritik wird bisher vor allem an der Wortlastigkeit geübt und an der unterbelichteten Auslandsberichterstattung. Das Defizit hat einen handfesten Grund: An Reisen, Telex und Telefon muß eben gespart werden.

Die derzeitige Ausstattung des Senders ist erbärmlich: ein kleines Mischpult, sechs alte Revox-Tonbänder, zwei eiernde Plattenspieler, zerkratzte Schallplatten, zwei Mikrophone und ein einziger Kassettenrecorder stehen zur Verfügung. Die Tonköpfe sind seit Jahrzehnten nicht mehr ausgewechselt worden. Schneideräume gibt es nicht, werden auch nicht vermißt, da weder geschnitten noch vorproduziert wird. Für Redaktionsräume fehlt der Platz, geladene Gäste warten auf dem Flur.

Es fehlt an allen Ecken das Geld, und nur die wenigsten Geschäftsleute akzeptieren statt Barem die angebotene Werbezeit. Viele Veranstaltungshinweise, Gewerkschaftsmitteilungen und Notrufe aus der Hörerschaft werden aus Solidarität umsonst veröffentlicht. Alle alten Anzeigenkunden von „Radio Panamericana“ haben ihre Werbespots zurückgezogen, als bekannt wurde, daß die früheren Stadtguerilleros den Funk übernommen haben - so zum Beispiel Philips und die großen nationalen Zigarettenmarken. Behörden und staatliche Betriebe müssen zwar laut Gesetz gleichmäßig Werbung verteilen, diese landet aber in der Praxis stets bei den Klitschen ihrer Parteifreunde. Lediglich einige mittlere Betriebe haben die neuen Betreiber des „Radio Panamericana“ als zahlende Kunden gewonnen: Reisebüros, Buchläden und Restaurants. Bisher ist man jedoch erst zu einem Fünftel ausgelastet. Um aus den roten Zahlen herauszukommen, müßten pro Stunde 15 Minuten mit Werbung gefüllt werden.

Der Unterhalt von „Radio Panamericana“ mit seinen insgesamt knapp 50 Mitarbeitern kostet pro Monat 24.000 Dollar. Die Hälfte geht für Löhne und Sozialabgaben drauf, der Rest für Büro, Strom, Wasser, Telefon und die Nachrichtenagentur 'Efe‘. Ein Journalist verdient kaum mehr als 250 Dollar. Da die Werbeeinnahmen weitaus zu niedrig sind, versucht der „Fanclub des Radios“, ein Zusammenschluß von Tupas, Gewerkschaftern und unabhängigen Linken, die Existenz des Senders notdürftig über Spendensammlungen zu retten. Sie organisieren Verlosungen, Ausflüge, Flußfahrten, Tanzveranstaltungen und Straßenfeste, um ein paar Pesos für CX44 zusammenzutragen. Doch das reicht nicht aus: Das monatliche Defizit von über 10.000 Dollar muß bisher neben den sporadischen politischen Spenden durch Selbstausbeutung und Verschuldung gestopft werden. Lange wird man sich so nicht über Wasser halten können.

Die Hoffnung der Radiomacher ist es, das Überleben des Senders für das nächste Jahr sicher stellen zu können. In dieser Zeit soll das Anzeigen- bzw. Werbespotgeschäft so weit ausgebaut werden, daß sich das Radio selbst trägt. Sollten die Tupas es schaffen, sich mit Spenden über dieses Jahr hinwegzuretten, dann scheint auch die ökonomische Stabilität des Radioprojekts realistisch. Ein Erfolg ist ihnen schon jetzt sicher: CX44 ist in Uruguay inzwischen eines der meistgehörten Radios - nicht nur von seinen Fans.

Spenden zur Unterstützung von „Radio Panamericana“ auf Konto Nr. 33 90 43-106 Postgiroamt Berlin-West, BLZ 100 100 10. Kontoinhaber: Lateinamerika-Zentrum e.V. Stichwort: Uruguay