SIND COWBOYS ARSCHLÖCHER?

■ „Cliff Barnes and the Fear of Winning“ im Quartier Latin

„Bist du John Wayne oder ich?“ (Full Metal Jacket)

Rockige Countrysongs, echt amerikanische Musik aus dem Land der unbegrenzten Landstraßen, die weit in die Ferne reichen und das Gefühl von Freiheit und Abenteuer vermitteln, Erleben. Autofahren, yeah, das Weite suchen und niemals anhalten müssen - auch wir haben Autobahnen ohne Ampeln. Und natürlich Fernsehen. Auf der letzten Documenta konnte man in der Design-Ausstellung ein Cowboy-Wohnzimmer mit Satteltaschen am Fernseher bewundern. Wir haben zwar trotz Kabel längst nicht soviel Programme wie unser großer Bruder, aber wir haben Video (die Satteltaschen sind für die Kassetten gedacht), um auch via Bildschirm in die Ferne schweifen zu können.

Ein Fernseher ist ja ein Wunderkasten, und kaum einer weiß, wie die Bilder entstehen, aus Strichen und Punkten oder so jedenfalls, die wenigsten Leute können einen Fernseher bauen. Dafür gibt es massenweise Leute, die mit einer Gitarre in der Hand Musik zustande bringen, die dann einem Massenpublikum gezeigt werden soll. Deshalb ist heute abend das Fernsehen hier, die haben alles im Griff, drei wuchtige Kameras vor und eine mobilere kleine hinter die Bühne beordert, und die Band in neue Klamotten gesteckt. Schwarze Jeans und weiße Hemden. Todschick. Menschenskind, mit den weißen Nähten an ihren schwarzen Stiefelsohlen werden die niemals einen Kuhstall ausmisten können. Aber so stellt sich das Fernsehen eben Country and Western-Stars vor, und schließlich könnte Mutti ihre Tochter beim Glotzegucken über die Schulter linsen - da muß doch alles sauber bleiben. Young Collections, der letzte Schrei: Yippiiiiiehyeah!

Ach du Schreck. Soll hier vielleicht der Wilde Westen ausverkauft werden? Schon zweimal habe ich die Band live erlebt, und jedesmal haben sie es geschafft, den jeweiligen Musikladen in einen Countryclub zu verwandeln. Heute kommt die Musik der akustischen Gitarren und Lagerfeuer erstmal ein bißchen zu sauber, zu klar und kontrolliert, so zwischen „Green on Red“ und „John Denver“, Töne wie Klamotten. Das Ganze klingt, als hätten sie ihren urwüchsigen Country-und -Western-Rock einfach in Wachs gebettet. Wahrscheinlich will es so das Fernsehen, und die kleinen Mädchen, die gerade nicht auf Acid-House stehen, fahren auf sowas ja auch voll ab. Die Musik ist zwar noch immer „macho“, aber trotzdem ungefährlich, nicht die Spur vergangener Tage. Dabei können die Jungs ganz anders. Der Sänger Bob Tijuana verfügt über eine ausgezeichnete Country-und-Western-Stimme, und er ist der Clown der Band, der zur Einleitung bestimmter Songs („Big Stick Blues„/„I married a nymphomaniac“) über sein Liebesleben erzählt („Wife number one, number two, number three...“) und sich jetzt über den Abgang von Obercowboy Ronald Reagan beklagt, weil man über George Bush nicht so lässige Cowboy-Witze reißen kann. Leadgitarrist Doug Latrine ist der texanische Ricky King, der mit seinem kleinen Finger das musikalische Geschehen bestimmt und sich dabei auch mal ZZ-Top-ähnlichen Space-Blues-Riffen nähert. Der Organist spielt dazu eine schmissige Wummerorgel, die ordentlich brummt, und bei „I wanna be an astronaut“ die krachende Effektsau rauslassen darf. Man spürt deutlich, wie den Musikern der Fernsehwolf im Nacken sitzt und jede Spontaneität und Natürlichkeit, den großartigen Witz, Cowboy -Rockstar zu sein und sich dabei selbst in voller Länge über den Tisch zu ziehen, also jene Attribute, die diese Band so sympathisch machen und dem Publikum zur Freundschaft die Hände reichen läßt, verhindern.

„Was ist 14 Inches groß und hängt vor einem Arschloch? Dan Quales Krawatte.“ (Marcia Pally)

Mit den Zugaben aber schaffen sie es schließlich doch noch, diese ihnen wohl selbst unbehagliche Art von steifer Präsentation abzuschütteln, und packen ihre wildesten Sachen aus: „Fucking in the White House“ und „No one got an asshole like a cowboy“, jenen Song, der den schmutzigen Geist Amerikas am richtigen Zipfel packt und die Cowboys (noch) mit Ronald Reagan an ihrer Spitze als reaktionäre Arschlöcher darstellt. Sind Cowboys Arschlöcher? (Vor einigen Jahren stellte uns Neil Young schon einmal diese Frage, als er mit dem einmaligen Willie Nelson im Duett sang: „Are there anymore real Cowboys?“) Mit der richtigen Musik im Ohr stelle ich fest: Nicht alle Cowboys sind Arschlöcher, man muß nur zwischen den falschen und wahren unterscheiden. Die Cowboys teilen sich endgültig in solche, die sich wie imperialistische Wölfe auf ihre erklärten Gegner stürzen (so wie J.R., der falsche Hund in „Dallas“, den Oberwolf spielt und mit einer unersättlichen Machtgier im Nacken seinem schreckhaften Widersacher Cliff Barnes das Fürchten (vorm Gewinnen) lehrt), und solche, die dem alten Mythos gleich mit einem inneren Schrei nach Gerechtigkeit in die Ferne ziehen, um freiheitlich-abenteuerliche Gefühle zu suchen.

„Unsere Legenden wollen wir uns erhalten, weil sie wahr geworden sind.“ (Der Mann, der Liberty Valance erschoß)

„Cliff Barnes and the Fear of Winning“ sollen unsere Freunde bleiben. Setzen wir also auf ein einmaliges Abgleiten der Band in den Kommerzsumpf dampfender Fernsehkacke. Solange die Scheiße noch frisch ist, kann man sie wegspülen. Vergessen. Schließlich sind sie immer noch diejenigen, die zum geistlosen Macho-Gehabe der Amis, das mit der Ausübung von Moralapostelei, Patriarchat, Diskriminierung, Kapitalisierung und Imperialismus nichts als ein dummdämliches Volksversagen darstellt, den treffsichersten Soundtrack liefern. Und die Wirksamkeit von Gesellschaftskritik ist immer dann am größten, wenn Aufklärung und Unterhaltung zusammenpassen.

„Ein Mann hat zu wissen, wie ein Fernseher gebaut ist.“ (Aus irgendeinem Western)

Volker Lüke