: Presseprovokation vor Palach-Gedenkfeier
■ Am 16.Januar 1969 verbrannte sich der tschechische Student Jan Palach aus Protest gegen Zensur der sowjetischen Besatzer
Prag/Berlin (taz) - Noch immer herrscht in der Charta 77 Unsicherheit darüber, ob der Brief eines studentischen Selbstmordkommandos authentisch ist, das für Sonntag Selbstverbrennungen auf dem Prager Wenzelsplatz ankündigte. Obwohl der Stil der Briefe echt klinge, könne eine Provokation nicht ausgeschlossen werden, hieß es aus Kreisen der Charta gestern.
Der Schriftsteller Vaclav Havel und Charta-Sprecherin Dana Nemcova, an die die Briefe addressiert waren, hatten sich über ausländische Sender - die tschechoslowakischen Medien hatten den Abdruck der Erklärung verweigert - von der Aktion distanziert und an die Absender appelliert, sie sein zu lassen. Dennoch hat die Presse gestern die Beschuldigungen der Parteizeitung 'Rude Pravo‘ landesweit wiederholt, nach der die Charta 77 „junge Leute in den Tod treiben“ wollte. „Dieselben Kräfte und häufig auch dieselben Personen, die die Tschechoslowakei vor 20 Jahren an den Rand der Katastrophe gebracht haben, versuchen nun eine erneute Provokation“, heißt es unter Anspielung auf den Prager Frühling und die Selbstverbrennung des Studenten Jan Palach am 16. Januar 1969. Havel ginge es allein darum, so 'Rude Pravo‘, eine „zynische Einladung“ zu der verbotenen Charta -Gedenkveranstaltung für Palach am Sonntag zu verbreiten.
Auch „seinerzeit waren alle antisozialistischen Kräfte in der Gesellschaft zu allem bereit, um den Lauf der Ereignisse umzukehren“, schrieb die Parteizeitung weiter. Für Sonntag hat die Charta zu einer stillen Gedenkminute an der Stelle aufgerufen, wo sich Jan Palach aus Protest gegen die Zensur durch die sowjetischen Besatzungstruppen angezündet hatte. Palach war Mitglied einer Gruppe von Studenten, die, wie er kurz vor seinem Tod sagte, „mit allen Mitteln etwas gegen das Böse unternehmen“ wollten. Das Böse - das war insbesondere das Organ der sowjetischen Besatzer 'Zpravy‘, in dem Drohungen gegen die Reformkräfte veröffentlicht wurden. Sechs Wochen nach Palachs Aktion hatte sich aus den gleichen Motiven und ebenfalls auf dem Wenzelsplatz ein 18jähriger Schüler verbrannt. Die Prager Zeitungen versuchen in diesen Tagen, die Aktionen als „absurde und tragische Tat“ von Einzelgängern darzustellen und wiesen darauf hin, daß Palach in den Stunden vor seinem Tod die Tat bedauert habe.kb/smo
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