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Swinging Metropolis

■ 13. Swinging Kaufhaus

Spielt tatsächlich mal eine Big Band irgendwo, irgendiwe, hier & heute da oder dort, so ist sie kaum willens, dies fürn Appel & ein Ei zu tun. Doch macht selbst eine Pampelmuse dazu den Kohl nicht fett, denn wo bietet sich überhaupt noch Gelegenheit, heißt man nicht grade Kuhn oder Jankowski? Ausgleichende Ungerechtigkeit im epochalen Rückspiegel; zu Glanzzeiten derartiger Formationen wird, grad im Hotelgewerbe, miserabel entlohnt; das betrifft Kellner wie Musiker. Für die Schwerarbeiter der Unterhaltungsbranche heißt das: jeden Abend auftreten. Die Konkurrenz ist groß, das Abwerbewesen der besten Solisten grassiert (mancher hüpft von Kapelle zu Kapelle zwischen Bühne & Plattenstudio), und geeignete Lokalitäten gibt's immerhin wie heute Diskotheken.

Gestattet es das Klima, wird gerne im Freien gespielt - was ganz besonderes sind da die Dachgärten, etwa jener auf dem KaDeWe. Denk dir die Decke weg, & schon darf in der Lebensmittelabteilung losgetrötet werden. Dieserorts beliebter Crooner - wie man die Refrain- & Orchestersänger vor der allumfassenden Eindeutschung heißt - ist Leo Monosson, der mit jeder Menge Schmelz die Sahne zum Fünf-Uhr -Tee liefert. Als Sohn des Mitinhabers vom jüdischen Bankhaus Monosson & Levin widerfährt ihm allzu Typisches: er emigriert 1933 nach New York, schafft es dort nicht, Fuß zu fassen, auch nicht mit deutschelnden Gesangsversuchen, und stirbt verarmt.

Doch noch dämpft keine Hakenkreuzfahne das Vergnügen, besonders bei Karstadt am Hermannplatz, gegen den das heute vielgerühmte KaDeWe reinster Popelkram ist. Am 21. Juni 1929 eröffnet mit viel Trara des Architekten Philipp Schaefers Gigantoklotz nach New Yorker Vorbild. Einige Novitäten, die das Trumm auch zum kulturellen Zentrum machen, zählen Hans -Werner Klünner & Helmut Börsch-Supan in ihrem Berlin -Archiv auf: „Über zwei Tiefkellern erhoben sich sieben Geschosse zu einer Höhe von 32 Metern, überragt von den beiden 25 Meter hohen Türmen in der Front des Hermannplatzes. 24 Fahrstühle und 24 Rolltreppen erschlossen die sechs Verkaufsgeschosse für das Publikum, das direkt von der Untergrundbahn in das Haus gelangen konnte - erstmalig und einmalig in Berlin. (...) Die Publikumssensation des direkten U-Bahnzuganges wurde allerdings nich übertroffen von der viel größeren des Dachgartens. Bis dahin gab es in Berlin nur den Dachgarten des Eden-Hotels in der Budapester Straße, der aber wegen seiner Exklusivität vom 'kleinen Mann‘ nicht besucht wurde. Der Karstadt-Dachgarten hingegen, durch sechs Fahrstühle in den beiden Türmen bequem und ohne Formalitäten erreichbar, bot auf seinen 4.000 Quadratmetern Fläche Hunderten von Menschen Platz, die hier in einem nach Jahreszeiten wechselnden Meer von Blumen, den Klängen erstklassiger Musikkapellen lauschend, weithin die herrliche Aussicht über Berlin genießen konnten.“ Trotz Wirtschaftskrise & Arbeitslosigkeit läßt man sich massenhaft im Bauch des Konsumtempels hochrollen & -fahren, da oben muß man einfach gewesen sein; so ist es immer, sagen wir mal: knallvoll.

„Herr Tannhäuser betrat die Halle, / und sieh mal an: da warn se alle!“ könnt mit Heinz Erhardt man schelmen, handelte es sich nicht um Open-air. Wer da keineswegs fehlen darf beim Spiel auf dem Plateau ist Bernard Ette mit Band. Ein Tausendsassa ist's - im Geschäft von 1919 bis in die Vierziger - und ein tüchtiger Allesverwerter. Seit 1923 exklusiv bei der VOX-Schallplattengesellschaft unter Vertrag, spielte er Hunderte von Schellackschätzchen ein. Freilich ist auch plattes Zeug darunter, versteht sich der aus Kassel stammende Leader durchaus nicht als „Jazzman“. Heutzutage findet sich kaum ein Orchester so häufig in den schwarzen, zerbrechlichen Stapeln auf Flohmärkten & bei Trödlern wie das vom ollen Ette (der in Nazizeiten auch übern Rundfunk kommt, jedoch ostentativ ohne Accent ausgesprochen wird, mit Betonung auf der ersten Silbe und schärfstem Doppel-t). Weil er so hemmungslos alles verbrät, heftet man ihm 1926 die „Goldene Medaille des Verbandes zur Pflege des Gesellschaftstanzes“ ans Ego. Aber wem eine Scheibe mit dem Aufdruck The Jazz Kings in die neugierigen Hände fällt, dem sei mitgeteilt, daß es sich hierbei ebenfalls um einen Etteschen Klangkörper handelt.

Ein weiterer namhafter Musiker, der gern hier in luftiger Höhe gastiert, ist Dajos Bela, über dessen Pseudonym es eine liebreizende Anekdote gibt: Der als Leo Golzmann in Kiev geborene Geiger soll einen weißderteufelwie drogenabhängigen Kollegen vertreten haben, der währenddessen in seiner Garderobe starb. Sein Name: Bela Dajos. Herr Golzmann übernimmt, dreht um und eilt mit seinem neuen Namen von Erfolg zu Sukzeß. Kolportiert ward das Ganze von Goetz Kronburger & Peter Weiss, auf deren gemeinsame Rundfunksendung hier mit Nachdruck verwiesen sei. „Gutes von gestern“ heißt sie und ist jeden Donnerstag von 19.40 bis 21 Uhr auf SFB1 zu belauschen. Vieles von dem, was der interessierte Leser hier zu entziffern versucht, bekommt er dort wöchentlich in den Gehörgang gestreuselt. Überdies werden ältere Folgen dieser prächtigen Musikreihe neuerdings freitäglich von 16.05 bis 17.35 Uhr auf SFB4 wiederholt.

Und plötzlich konstatiert der Autor, daß er sich verplaudert hat, und gestattet sich, nächsten Montag dort anzuknüpfen.

Norbert Tefelski

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