ZWISCHEN DEN RILLEN

 ■  Etwas von der Zärtlichkeit des Nebenbei

Während die Ausläufer der Acid-House-Welle über die Dörfer lecken, kommt Neues aus dem Unterstrom. Nichts glitzernd Neues, eher das Resultat zerstreuter Laboratoriumsarbeit, eine seltsam sich anfühlende Verbindung, die den Forschern jetzt, wo es wieder weniger als 120 beats per minute sein dürfen, zu ihrer eigenen Überraschung aus den Händen gerissen und bejubelt wird.

„My Bloody Valentine“ heißt die Band, die noch vor kurzem im britischen Indie-Mittelfeld krebste. Ihre erste LP Isn't Anything baut nun aus, was zwei Maxis ankündigten: zerbrechliche Melodien werden von Noise-Gitarren terrorisiert, was ihre Schönheit aber rätselhafterweise nicht nur nicht beeinträchtigt, sondern steigert. Kein umwerfend neues Konzept, zugegeben, doch in der Variierung einzigartig. Die Stimmen, die zum Ersticken klar in ihrer Lärmhülle schweben. Die angebrannten Gitarren, die sich als winzige Partikel ausbreiten, als hätten sie ihren Ursprung in der Körpergeste des Anschlags hinter sich gelassen. Der Akkord ist gerade noch erkennbar, so weit hat er sich in unnotierbaren, von keiner sprachlichen Lautmalerei einholbaren Sound aufgelöst, 2.000 Lichtjahre von allem Twang und Karrängghh des Riffrocks entfernt. Obwohl er ja daher kommt! Entscheidend: Die verwischten Konturen sind nicht Effekt einer Flucht ins Ätherische, sondern Konsequenz der Gitarrentechnik selbst. Ab einem bestimmten Verzerrungsgrad löst sich die Fuzz-Gitarre von ihrer langjährigen Bindung ans Brachiale (Prototyp: Pete Townsends kreisender Anschlag), wird plötzlich wieder fein, sensibel, nuancenreich.

Statt Vehikel für Rockposen zu sein, haben alle Songs etwas von der Zärtlichkeit des Nebenbei. Zum einen trennt sie das von der weinerlichen Grundstimmung, die den Bands des Creation-Labels (mit Recht) immer wieder nachgesagt wurde. Zweitens, was wichtiger ist, verabschieden sie die athletische Vision von Sex. Pop wird wieder androgyn. Keine muskulösen Männerstimmen, keine weiblichen Rockröhren, statt dessen der phrasierungsfreie, kaum nach gängigen Geschlechtsmerkmalen zu unterscheidende Gesang von Kevin Shields und Bilinda Butcher. Sexbeat ist Isn't Anything nicht durch schweißtreibendes Einheizen, sondern durch Abdriften im Sound. Das Polymorphe kehrt als Drogen- und Traumwandlersex zurück, ein lockerer Rückgriff auf alte halluzinogene Traditionen, wie er im verstreichenden Jahr von A.R. Kane und ihrer wichtigen 69-LP eingeleitet wurde. Ob mehr daraus wird, muß 1989 zeigen.

An einem ähnlichen Grundkonzept der Kombination von Song und Sound, von Melodie und Lärm arbeiten durch „Ultra Vivid Scene“, eine Band, die nur aus dem anglophilen New Yorker Kurt Ralske und seinen diversen Spielzeugen besteht. Ralske, ein 23jähriges Wunderkind mit College-Abschluß in Jazzimprovisation, zog es nach raschem Durchlaufen des New Yorker Trendknäuels zu Lehrjahren nach England, wo er auch „My Bloody Valentine“ kennengelernt haben soll. Irgendwie muß er bei alldem ein paar Steinchen zuviel gesammelt haben in seinem Popbaukasten. Sei es deswegen, sei es, weil New York noch immer vor sich hinkokst oder einfach, weil frühe Meisterschaft ihn slick gemacht hat: Seine erste (Solo -)LP bleibt trotz vergleichbarer Ausgangslage konventionell. Lärmelement, Feedback und Fiepsen sind hier nur die Schäfchenwölkchen am Pophimmel. Das Ironische zwinkert uns ironisch zu, und die Bösartigkeiten sind bloß die kleinen Bösartigkeiten, wie clevere verwöhnte Jungs sie auszuhecken pflegen.

Thomas Groß

My Bloody Valentine Isn't Anything (Creation)

Ultra Vivid Scene

Ultra Vivid Scene (4 AD)