Abschied mit einer Handvoll Erde

■ Heute vor zehn Jahren verließ der Schah von Persien den Iran / Nur wenige Getreue begleiteten den Schah und seine Gattin auf ihrem Flug ins Exil / Trotz der Ankündigung, sich nicht gegen eine Revolution des iranischen Volkes zu stellen, mußte er sein Land verlassen

Als der Schah am 2.Juni 1967 vor der Deutschen Oper in Berlin mit Tomaten und Eiern beworfen wurde, bevor er Arm in Arm mit Bundespräsident Heinrich Lübke Mozarts Zauberflöte lauschte, fühlte sich der weltweit umworbene Monarch noch fest im Sattel. Über den Tod von Benno Ohnesorg, der sich unter den Demonstranten befand und von einem Polizisten erschossen wurde, habe er am nächsten Morgen beim Frühstück gegenüber dem damaligen Berliner Bürgermeister Heinrich Albertz geäußert, er solle den Vorfall nicht tragisch nehmen, in seinem Land käme dergleichen öfter vor.

Noch mitten in den siebziger Jahren schien der Pfauenthron so unverrückbar wie die Berge im Norden von Teheran. Der Landesvater, der sich nun mit „König der Könige, Licht der Arier“ anreden ließ, rühmte sich, das 2.500jährige Erbe des iranischen Kaiserreichs wohl erhalten zu haben. In Persepolis kniete er in Anwesenheit von Staatsoberhäuptern und Würdenträgern aus aller Herren Länder am Grabe des Perserkönigs Kyros nieder und rief mit dem goldenen Schwert in der Hand: „Ruhe sanft, denn wir halten Wache.“

Der Kaiser und die Kaiserin hatten weitreichende Pläne. Sie verkündeten den „Sprung in die große Zivilisation“, wollten in den achtziger Jahren Japan überholen und den Iran auf die Entwicklungsstufe von Schweden stellen.

Das Fest in Persepolis sollte der Welt einen Hauch von jener Gesellschaft vermitteln, von der das Kaiserpaar träumte. Die prächtige Uniform des Kaisers und die Gewänder der Kaiserin waren in Pariser Modehäusern angefertigt und Speisen, Getränke, Blumen und Geschmeide aus Westeuropa und Amerika eingeflogen worden. Und während ein großer Teil der iranischen Bevölkerung hungerte, die Menschen in Sistan und Balutschistan sich von Stroh und Dattelkernen ernährten, wurden bei einem internationalen Festival in Schiraz exotische Vorstellungen von 1001 Nacht, vom Großwesir und Scheherazade, vom Orient und von Orientalischem in Form von Theateraufführungen, abstrakten Gemälden, Skulpturen, serieller und elektronischer Musik durch westliche und verwestliche Künstler vorgeführt. Eine Theatergruppe vergaß sogar religiöse Moral und landesübliche Verhaltsweise und trat ganz nackt auf die Bühne.

Doch als das siebziger Jahrzehnt sich zu Ende neigte, entstand, für alle politischen Beobachter unerwartet, scheinbar aus heiterem Himmel, eine Bewegung, die sich innerhalb von zwei Jahren zu einem der größten Volksaufstände der Geschichte entwickeln sollte. Trotzdem glaubte lange Zeit kaum jemand, daß diese Bewegung das Regime in Teheran mit seiner 400.000 Mann zählenden Armee, seinen 100.000 Geheimpolizisten und der ebenso starken Polizei und Gendarmerie ernsthaft gefährden könnte. Selbst im Weißen Haus wäre jegliche Vermutung an einen politischen Wechsel im Iran als ein schlechter Scherz zurückgewiesen worden.

Am 31.Dezember 1977, fast genau ein Jahr vor dem Sturz der Monarchie im Iran, unterbrach der amerikanische Präsident Carter seinen Flug von Europa nach Indien für 24 Stunden in Teheran.

Dort verbrachte er die Silvesternacht am kaiserlichen Hof. Offenbar berauscht von dem Glanz der Festlichkeit und begeistert von der orientalischen Gastfreundschaft, hob Carter in der Stunde Null des Jahres 1978 sein Glas und sprach gewichtige Sätze aus. „Wir befinden uns hier auf einer schönen und ruhigen Insel inmitten eines stürmischen Ozeans. Es ist ein Segen Gottes und ein großes Glück, daß wir den Jahresbeginn mit Menschen verbringen dürfen, zu denen wir ein tiefes Vertrauen haben und mit denen wir gemeinsam die Verantwortung für die Gegenwart und Zukunft tragen. Unsere Freundschaft ist unersetzbar. Mein Dank gilt in erster Linie dem Schah-in-Schah, der mir als Neuling großzügig seine Unterstützung gewährt hat. Wir kennen in der ganzen Welt kein Land, das uns so nahe steht und keinen Führer, dem wir so ein tiefes Gefühl der Dankbarkeit und Freundschaft entgegenbringen.“

Doch die Freundschaft währte nicht lange. Der Präsident reiste am nächsten Tag ab und ließ den Schah in seiner goldverzierten Welt allein. Draußen tobte der immer heftiger werdende Aufstand, der den Kaiser mehr und mehr zur Verzweiflung trieb. Im November 1978 setzte er eine Militärregierung ein, die sich, wie er später selbst gestand, als „ein Löwe ohne Zähne“ erwies. Unmittelbar danach versuchte er eine Politik der Anbiederung und Versöhnung.

„Ich habe die Botschaft der Revolution vernommen“, sagte er in einer Fernsehansprache. „In den vergangenen zwei Jahren ist das Volk gegen die Tyrannei und Korruption aufgestanden. Eine Revolution des iranischen Volkes kann von mir als Kaiser und Iraner nicht abgelehnt werden.“ Das Lavieren führte jedoch zu keinem Ergebnis. Aus Paris empfahl Khomeini den Aufständischen, „die Hände solange auf die Gurgel des Schahs zu drücken, bis die letzten Zuckungen aufhören“. Sie hörten auf. Mitte Januar 1979 war das Spiel für den Monarchen aus. Er mußte Abschied nehmen.

Während gewöhnlich der Schah bei seinen Auslandsreisen mit dem Auto von seiner Residenz zum Flughafen fuhr und viele Erwachsene und Schulkinder gezwungen wurden, am Straßenrand Spalier zu stehen und Fähnchen zu schwenken, wurde dieses Mal das Kaiserpaar unter größter Geheimhaltung mit dem Hubschrauber zum Flughafen geflogen. Es war der Mittag des 16.Januar 1979. Auch am Flughafen sah es recht traurig aus.

Keine hohen staatlichen und religiösen Würdenträger, keine Militärkapelle, kein roter Teppich, keine „süßen kleinen“ Mädchen, die dem Landesvater zum Abschied Blumen reichten.

Nur ein paar Generäle, ein paar Journalisten und der frisch ernannte Ministerpräsident Bachtiar waren anwesend. Im kaiserlichen Pavillion richtete der Schah seine letzten Worte an die Anwesenden. Mit Tränen in den Augen sagte er: „Ich fühle mich seit längerer Zeit sehr müde und brauche Erholung.“ Dann faßte er seine Gattin Farah am rechten Arm und schritt langsam zur Maschine, hinter ihm der dürftige Rest grauer Eminenzen.

Vor der Rolltreppe blieb er einige Minuten lang mit dem Rücken zu seinen Begleitern stehen, drehte sich dann um, holte ein Taschentuch aus der Tasche, wischte seine Tränen ab und sagte mit trauriger und leiser Stimme zum Generalstabschef: „Können Sie mir eine Handvoll Erde bringen lassen?“ Er reichte jedem seiner Begleiter die Hand zur letzten Verbeugung mit Handkuß und lief die Treppe hoch.

Wenige Minuten später sah man die Maschine mit dem kaiserlichen Wappen am Horizont. Es war das Ende der Pahlawi -Dynastie, das Ende einer 25jährigen Diktatur.

Bahman Nirumand