: Neonazi „ein anderer geworden“?
■ Landgericht verwarf Berufung des ehemaligen FAP-Vorsitzenden Privenau / Über die Glaubwürdigkeit eines Abschiedes vom „unbrauchbaren Menschenmaterial“
Arm in Arm gingen gestern mittag Markus Privenau und seine schwangere Verlobte über den Flur des Bremer Landgerichts. „Es ist nicht so, daß in meinem Fall keine günstige Zukunftsprognose gestellt werden könnte“, hatte Privenau kurz zuvor der Strafkammer in seinem Schlußwort als Angeklagter gesagt. Der Maurerlehrling, der in Bremen lange Jahr den Neonazi-„Führer“ spielen wollte, sitzt derzeit den Rest seiner 9monatigen Jugendstrafe wegen der fahrlässigen Tötung eines Jagdpächters (1985) ab, aus der neonazistischen FAP hat er sich schon vor Monaten verabschiedet. Vorher noch hatte er einem jungen Mann mit Punk-Frisur, der an einer Bushaltes
stelle wartete, eine Bierflasche auf dem Kopf zerschlagen und war dafür in erster Instanz zu 8 Monaten Gefängnis ohne Bewährung verurteilt worden.
Der Verteidiger räumte gestern in der Berufungs-Verhandlung vor dem Landgericht ein, daß sein Mandant „bestraft werden muß“, aber er brachte alle erdenklichen Argumente, um das Gericht auf ein mildes Urteil einzustimmen: Privenau sei ohne Vater aufgewachsen, stammme aus einer „gescheiterten Ehe“, warb er um Verständnis für unangepaßtes Verhalten. Er werde demnächst als Freigänger seine Maurer-Lehre abschließen, in wenigen Monaten erwartet seine Freundin das Kind - alles für den
Verteidiger Rieger Hinweise, „daß er ein anderer geworden ist“, daß ihm eine Chance gegeben werden sollte. Wegen einer 7monatigen Untersuchungshaft-Zeit 1984/5 (die Brandstiftung in einem türkischen Gemüseladen konnte ihm schließlich nicht nachgewiesen werden) habe er in der Schule den Anschluß zum Abitur verpaßt, schon einmal sei ihm sein Lebensweg vermasselt worden - mit ganzen 2.400 Mark sei er dafür entschädigt worden.
Der Staatsanwalt war von alldem wenig überzeugt. Er zählte noch einmal die Liste der strafrechtlich erfaßten „Taten“ in der neonazistischen Karriere Privenaus auf, den nicht einmal der von ihm verschuldete Tod des Jagdpächters zum Nachdenken gebracht hatte. In seinem Austrittsschreiben hatte Privenau im Frühjahr 1988 geschrieben, die FAP sei ihm zu „schlapp“ und „unfähig zur Konspiration“. Er wollte sich von „gescheiterten Existenzen“ trennen, von „unbrauchba
rem Menschenmaterial“ - gleichwohl bezeichnete Privenau in diesem vor Gericht verlesenen Text noch alle diejenigen als „Kameraden, die nicht schwul sind“.
„Das ist kein Abschied“, sagte der Staatsanwalt von Bock dazu, sondern zeuge nach wie vor von der „menschenfeindlichen Grundhaltung“. Der Verteidiger wandte dagegen ein, daß es nicht verboten sei, „Nationalsozialist“ zu sein. Privenau sei seit diesem Brief nicht mehr strafrechtlich aufgefallen.
Der Richter schloß sich gleichwohl dem Plädoyer des Staatsanwaltes an. „Mir paßt auch vieles nicht“, suchte er sich in die Grundhaltung des Angeklagten hineinzuversetzen, aber das sei kein Grund für gewalttätiges Verhalten. Seine „Zukunftsprognose“ für Privenau sei „denkbar schlecht“, begründete der Richter die Zurückweisung der Berufung. „Sie sind Hellseher“ warf Privenau ein wenig trotzig und enttäuscht ein.
K.W.
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