: In Berlin ist nun der Dialog gefragt
■ Streik an der Freien Universität soll zu Verhandlungen genutzt werden / Linke und rechte ProfessorInnen starten gemeinsame Initiative / Senat und Universitätsleitung sollen Vier-Punkte-Katalog erfüllen / Verbindliche Zusagen verlangt / Am Freitag tagt das FU-Kuratorium
Berlin (taz) - Die Berliner Streikfahne flattert seit dem vergangenen Wochenende in die entgegengesetzte Richtung. Beherrschte noch vor einer Woche das brutale Vorgehen der Polizei vor den medizinischen Instituten das Straßenbild auf dem Campus der „Befreiten Universität“, so hat sich jetzt der Disput in die Köpfe verlegt - der Dialog mit den StudentInnen ist gefragt. Aus dem mißlungenen Versuch, die Streikenden mit Polizeigewalt zum Einlenken zu bewegen, hatten FU-Präsident Heckelmann und der Dekan des medizinischen Instituts, Körber, die Lehre gezogen, daß der studentische Protest kurz vor den Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus so nicht abzuwürgen ist. Wut und Unbehagen der FU-DozentInnen über das rigide Vorgehen der Universitätsleitung taten ein übriges, um Heckelmann zum Thema „Per Verhandlungsbereitschaft zum Konsens“ überleiten zu lassen. Fazit: Der FU-Präsident ließ die medizinischen Institute für zwei Tage dichtmachen, um StudentInnen und ProfessorInnen Zeit zum Dialog zu geben. Das müsse ausreichend sein, sagte er, ansonsten stünde bei den MedizinstudentInnen das Semester auf dem Spiel. Noch am Wochenende setzten sich MedizinstudentInnen und ProfessorInnen an einen Tisch, um über dieForderungen zu verhandeln. Der Versuch mißlang.
Doch das „Round-table-Gespräch“ hatte Signalwirkung. Wie ein Lauffeuer breitet sich an der gesamten FU der Konsensgedanke aus.
Eine Gruppe von linken und konservativen ProfessorInnen hat versucht, auf den studentischen Protest erstmals eine politische Antwort zu finden: Am Dienstag richteten sie einen Vier-Punkte-Katalog an Senat und FU-Spitze, um, wie sie sagen, aus der „Sackgasse der Ratlosigkeit“ herauszukommen. Zu dieser Initiative gehören die linken Professoren Hajo Funke, Uwe Wesel und Bodo Zeuner sowie die rechtsliberale Professorin Gesine Schwan. Die vier Punkte seien das „Minimum“, das erfüllt werden müsse, betont Funke. Die Strukturbeschlüsse des Kuratoriums der Freien Universität müßten neu „beraten“ werden. (Diese Beschlüsse vom November letzten Jahres waren der Auslöser der Studentenproteste und zielten darauf ab, traditionell linke Fachbereiche auszuhebeln.) Ferner wird vorgeschlagen, Mitbestimmung in wissenschaftlichen Einrichtungen einzuführen: für die rechten Professoren eher im Sinne einer Beratungskompetenz und für die linken als volle Entscheidungsbefugnis. Außerdem verlangt die Gruppe die Rücknahme von 150 Stellenkürzungen sowie 20 zusätzliche Professuren für Frauen in den nächsten drei Jahren.
Informelle Gespräche mit Verantwortlichen in Senat und Unileitung haben bereits im Vorfeld stattgefunden, hier hat die konservativ-liberale Professorin Schwan eine entscheidende Rolle gespielt. So bestehen von Seiten der Universitätsleitung offenbar bereits „informelle Zusagen“, zwei der vier Forderungen im Bereich der „Strukturreform“ zu erfüllen. Am Freitag tagt das Kuratorium der FU, und auf dieser Sitzung muß FU-Präsident Heckelmann allerdings Farbe bekennen: Spätestens bis dann, so Funke, müsse von Seiten der FU-Spitze ein eindeutiges Signal kommen, ob sie sich diesen Vier-Punkte-Katalog zu eigen macht. Der Regierende Bürgermeister Diepgen hat gestern in einem Zeitungsinterview erstmals erklärt, „daß eine Beteiligung auch anderer Gruppierungen außerhalb der Hochschullehrer bei der Arbeit der wissenschaftlichen Einrichtungen sinnvoll ist“. Diese Stellungnahme, so Funke, könne man als einen „Einstieg in die Debatte um die Novellierung des Hochschulgesetzes interpretieren“.
Die StudentInnen haben sich auf einer Vollversammlung nicht gegen diese Professoreninitiative gestellt, die Forderungen jedoch als „unzureichend“ gewertet. Aber auch sie wollen den Streik und die Mobilisierung nun zu Verhandlungen nutzen allerdings nur, wenn die Strukturreform zurückgenommen wird und sämtliche Straf- und Ermittlungsverfahren eingestellt werden.
Das Wort „Dialog“ ist nun in aller Munde - zumindest bis zur Kuratoriumssitzung. Obwohl noch immer 18 der 22 Fachbereiche der FU streiken, sind sich die meisten StudentInnen weitgehend einig: Kein Streiktag länger ohne Verhandlungen.
Christine Berger/Ursel Sieber
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