Be happy - worry later

■ In Washington hat das viertägige Spektakel zur Amtseinführung des 41. Präsidenten der USA begonnen

US-Amerika fiebert den Ereignissen entgegen. Doch nicht der neue Mann im Weißen Haus dominiert Schlagzeilen und Fieberträume der Nation, sondern Namen wie Jerry Rice, Joe Montana oder Ickey Woods - die Stars auf dem grünen Kunstrasen der Footballstadien. Mit ihren Klubs, den Fortyniners aus San Francisco und den Cincinnati Bengals, bestreiten sie am Sonntag in Miami das 23.Finale des Super Bowls, d e n Wettkampf im „American Football“ schlechthin. Für die Antrittsrede des 41.Präsidenten dagegen scheint sich in den USA kaum jemand zu interessieren. - George Bush dürfte an das Desinteresse weiter Bevölkerungskreise gewöhnt sein. Schließlich konnten er und Michael Dukakis gerade mal knapp über 50 Prozent der Wahlberechtigten, 91 Millionen, zur Stimmabgabe mobilisieren. Am Sonntag werden dagegen mindestens 150 Millionen Amerikaner gebannt vor den Fernsehapparaten sitzen. Die Liveübertragung der Amtseinführung von Bush wird weit weniger Zuschauer finden. Und auch die Zaungäste, die das Spektakel in Washington sehen wollen, werden bei weitem nicht so stimmgewaltig sein wie die 75.000 Fans im Stadion von Miami. Schließlich ist ja auch die Spannung größer. Foto dieser Seite: Poly Pres

An manchen Abenden nehmen sich die Fernsehnachrichten wie eine Pathologie der US-amerikanischen Gesellschaft aus. Gewalt und Korruption, Verfall und Kriminalität, unterbrochen von Werbespots, die den alltäglichen Horror noch fortsetzen - warnen sie doch in grellen Tönen vor den Gefahren von Bluthochdruck und falscher Ernährung, die angeblich nur durch täglichen Konsum des neusten Frühstücksmüslis gebannt werden können.

An diesem Dienstag war wieder so ein Abend. Ein offenbar Verrückter ist in dem kleinen kalifornischen Ort Stockton in die Schule gekommen und hat fünf Kinder mit einer Maschinenpistole umgemäht, hören wir. Der Vorsitzende des Schuldirektorenverbands sagt im Interview, es komme andauernd zu Bombendrohungen gegen Schulen - warum dies so ist, weiß er auch nicht. Dann ein Bericht aus Miami, wo am Vortag ein schwarzer Motorradfahrer von einem Polizisten erschossen wurde - einfach so, ohne Grund.

Ein schwerer Krawall war die Folge - der die folgenden Nächte fortdauern sollte. Nicht so dramatisch allerdings wie der Aufstand in dem schwarzen Stadtteil Liberty City vor acht Jahren, als dort achtzehn Menschen starben. „Frustration, schlichte Frustration“, sei der Grund für die Plünderungen und Brände, sagt ein lokaler Journalist dem Fernsehreporter, der ihn interviewt.

Die Schwarzen fühlen sich nicht nur den Weißen, sondern auch den vergleichsweise wohlhabenden Latinos gegenüber benachteiligt, die als Flüchtlinge nach Miami strömen und denen die Stadt bisher immer geholfen hat. „Beschafft uns bessere Wohnungen und bessere Jobs“, schimpft eine schwarze Frau in die Kamera.

Der dritte Fernsehbericht an diesem Abend handelt von einem schwarzen Polizisten, der - in Zivil und von einem Fernsehteam begleitet - durch die kalifornische Oberklassen -Enklave Long Beach fuhr, um Vorwürfe gegen die dortige Polizei zu überprüfen. Er wurde prompt von einem Verkehrspolizisten gestoppt und brutal mißhandelt. Die Fernsehgesellschaft NBC hat alles gefilmt, die Polizei von Long Beach ist deswegen stinksauer, denn diesmal läßt sich die Affäre nicht per „interner Überprüfung “ unter den Teppich kehren.

Es nimmt an diesem Abend kein Ende mit der amerikanischen Pathologie: Neue Studien belegen das wachsende Ausmaß rassistischer Gewalt und die zunehmende Zahl der Obdachlosen; und ein Bericht des Justizministeriums geht mit der korrupten Amtsführung seines ehemaligen Chefs, Reagans Kumpel Ed Meese, hart ins Gericht.

Höchste Zeit, daß George Bush sich an die Arbeit macht, eine „freundlichere, gütigere Nation“ zu schaffen, wie er es seit Monaten versprochen hat. Das klingt zumindest anders als bei Reagan, der immer erklärte, Amerika müsse vor allem ein Land bleiben, in dem man reich werden kann. Wer Bush in den letzten Wochen erlebt hat, muß zugeben, daß in Washington zumindest ein neuer Ton Einzug hält. Kann man gar hoffen, daß an die Stelle der blanken Verachtung, die die Reaganisten für die Verlierer der amerikanischen Gesellschaft übrig hatten, etwas Großmut tritt? Etwas von dem aufgeklärten Patriziertum, das George und vor allem Barbara Bush umgibt?

Bush sei der Ansicht, daß er „eine Verpflichtung gegenüber der Gesellschaft“ habe, bestätigt selbst ein Erzkonservativer wie Stuart Butler von der „Heritage Foundation“.

Doch wie will Bush sein Versprechen einer „freundlicheren, gütigeren Nation“ einlösen? Wie sollen die Probleme im Erziehungswesen, im Wohnungsbau, im Umweltschutz gelöst werden, nachdem sein Vorgänger im Weißen Haus eine fiskalische Zwangsjacke hinterlassen hat? Wo soll das Geld herkommen, um einen „Krieg gegen Drogen“ zu führen, um die Umgebung der Atomwaffenfabriken zu entseuchen und die Krise der Sparkassenindustrie aufzufangen?

Im Bundeshaushalt klafft ein Defizit von rund 150 Milliarden Dollar, das bis zum nächsten Budgetjahr reduziert werden muß; doch im Wahlkampf hat Bush sich darauf festgelegt, keine Steuern zu erhöhen.

Bush hat bisher auf diese Fragen keine Antwort geliefert, er wird dies möglicherweise erst am 9.Februar versuchen, wenn er vor beiden Häusern des Kongresses eine programmatische Rede halten wird. Doch jeder, der zwei und zwei zusammenzählen kann, weiß jetzt schon, daß eines der beiden Versprechen des neuen Präsidenten auf der Strecke bleiben muß: Entweder steigt das Budgetdefizit - oder die Steuern.

Bushs wirtschaftspolitischer Vordenker, der künftige Budgetdirektor Richard Darman, hat in einem Brief an den Kongreß bereits angedeutet, wie er sich die erforderliche Quadratur des Kreises vorstellt. Eine Importsteuer auf Erdöl - die letztlich der Konsument an der Zapfsäule zu bezahlen hätte - würde man nicht Steuer nennen, sondern „Zollgebühr“. Und wenn künftig die Renten besserverdienender SeniorInnen höher besteuert werden, dann sei das auch keine „Steuererhöhung“, sondern eine „Verringerung von Zuwendungen“.

Doch auch solche Wortakrobatik wird kaum ausreichen, die Löcher in der Staatskasse wirksam zu stopfen. Deshalb hat sich Bush schließlich Darman als Budgetdirektor ausgesucht einen Mann, der schon in Reagans Weißem Haus und später im Finanzministerium diente und ein kämpferischer Fürsprecher staatlichen Sparens sein wird, mit dem Bushs Minister um jeden Dollar werden feilschen müssen. Somit wird es weitgehend von der politischen Durchsetzungsfähigkeit der einzelnen Kabinettsmitglieder abhängen, welche neuen Programme mit Geldern aus der Bundeskasse finanziert werden.

Mit der Wahl einer Reihe von Kabinettsmitgliedern hat Bush aber auch Zeichen gesetzt, wo er eine deutliche Abkehr von der Reagan-Ära anstrebt. Jack Kemp, der neue Wohnungsbauminister, ist zwar als konservativer Reaganist bekannt, hat sich aber seit Jahren für Maßnahmen eingesetzt, die die Lage der schwarzen Minderheit und der Innenstädte verbessern sollen. William Reilly, neuer Chef der unter Reagan skandalgeschüttelten Umweltschutzbehörde EPA, war bisher Präsident des World Wildlife Fund und der Conservation Foundation und hat in dieser Funktion die Politik der Reagan-Administration kritisiert.

Stefan Schaaf