Schlagstockeinsatz in Prag

■ Polizei kesselt DemonstrantInnen auf dem Wenzelsplatz ein / Prager Führung warnt vor „antisozialistischen Strukturen / Schriftsteller Havel soll wegen Rowdytums angeklagt werden

Prag (ap/dpa/afp) - Zu dem bislang härtesten Einsatz der Polizei gegen DemonstrantInnen in Prag kam es am Donnerstag abend auf dem Wenzelsplatz, wo sich rund 5.000 SympathisantInnen der Charta 77 versammelt hatten und unter anderem in Sprechchören freie Wahlen forderten. Die uniformierten Polizisten hielten sich zunächst, wie bei der Kundgebung am Vortag zurück, wurden jedoch nach einer 3/4 Stunde abgezogen. Dann sperrten Sondereinheiten mit Lautsprecherwagen und Wasserwerfern die Zugänge zum Platz, so daß auch zahlreiche Passanten mit eingekesselt wurden. Die sogenannten Sicherheitskräfte gingen erbarmungslos mit Schlagstöcken und Hunden gegen die Versammelten vor, die dies mit „Gestapo„-Rufen und dem Slogan „Gorbatschow sieht zu“ quittierten. Dutzende wurden in bereitstehende Fahrzeuge zum Abtransport getrieben. Die große Zahl von Rettungswagen, die noch am Abend durch die Stadt fuhren, ließen auf zahlreiche Verletzte schließen.

Der Prager Oberbürgermeister Zdenek Horcik appellierte am Abend im tschechoslowakischen Fernsehen an die Jugend, sich „nicht verführen zu lassen“. Für die bereits seit Tagen andauernden Protestkundgebungen auf dem Wenzelsplatz hat das Parteiorgan 'Rude Pravo‘ „kümmerliche politische Überbleibsel der Jahre 68/69“ verantwortlich gemacht. In warnendem Ton hieß es weiter, die Prager Führung werde „antisozialistische politische Strukturen“ und „die Gründung einer Art Opposition im sozialistischen Staat“ nicht zulassen. In einem Kommentar auf der ersten Seite hieß es, die Verantwortlichen der „Provokationen“ seien „politisch und materiell von reaktionären Kräften der Nato und besonders der USA“ unterstützt worden.

Vaclav Maly, einer der Unterzeichner des Menschenrechtsdokuments der Charta 77, teilte am Donnerstag mit, der am Montag festgenommene Schriftsteller und Bürgerrechtler Vaclav Havel und die frühere Charta-77 -Sprecherin Jana Sternova sollten wegen Rowdytums angeklagt werden. Dies habe ein Staatsanwalt bekanntgegeben. Nach Angaben Malys müssen die beiden Bürgerrechtler bei einer Verurteilung mit einer Höchststrafe von zwei Jahren Freiheitsentzug rechnen. Maly teilte weiter mit, inzwischen sei auch der Bürgerrechtler Martin Palous verhaftet worden. Dieser hatte am Mittwoch noch auf dem Wenzelsplatz gesprochen.

Dem ehemaligen tschechischen Außenminister und Charta-77 -Anhänger Jiri Haja, den Bundespräsident von Weizsäcker für dieses Wochenende zu einem nachträglichen Geburtstagsessen für Willi Brandt eingeladen hatte, wurde das Ausreisevisum verweigert.