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HTR-Blankogenehmigung rechtswidrig

Niedersächsische Landtagsgutachter sehen Probleme / Standortunabhängige Genehmigung für Hochtemperatur-Reaktoren als Baureihe verfassungswidrig / Bescheid sollte als Exportgütesiegel dienen  ■  Aus Hannover Jürgen Voges

Schwere rechtliche Bedenken gegen das beim Umweltministerium in Hannover anhängige Genehmigungsverfahren, mit dem in Niedersachsen sogenannte Hochtemperatur-Modul-Reaktoren (HTR) unabhängig vom Standort als Baureihe genehmigt werden sollen, hat jetzt auch der Gesetzgebungs- und Beratungsdienst des niedersächsischen Landtags in einem umfänglichen Gutachten geltend gemacht. Nach Auffassung der Landtagsjuristen darf der Vorbescheid, der Resultat dieses in der Geschichte der Bundesrepublik einmaligen Genehmigungsverfahren werden soll, dann nicht erteilt werden, wenn dadurch nur der Export der Mini-AKWs in den Ostblock erleichtert werden soll.

Während der niedersächsische Umweltminister Werner noch vor Weihnachten im Landtag erklärt hatte, das Genehmigungsverfahren solle den HTR-Reaktoren ein Gütesiegel für den Export verschaffen, erklären die Landtagsjuristen in dem jetzt vorliegenden Gutachten eindeutig: „Ein Vorbescheid, der als Gütesiegel für den Export genutzt werden soll, ist nicht von (dem für das Verfahren maßgeblichen) Paragraphen 7a des Atomgesetzes gedeckt.“ Der Grüne Landtagsabgeordnete Hannes Kempmann, der das Gutachten beim Gesetzgebungs- und Beratungsdienst in Auftrag gegeben hatte, forderte deswegen den niedersächsischen Umweltminister auf, das ganze Verfahren umgehend abzubrechen. Auch ein von der niedersächsischen SPD -Landtagsfraktion über den niedersächsischen „Landesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz“ in Auftrag gegebenes Gutachten, das ebenfalls gestern öffentlich wurde, kommt zu dem Schluß, daß ein Genehmigungsverfahren, das „eine Typen oder Bauartenzulassung, auch für den Export, nach dem Atomgesetzt unzulässig ist.“

Beide Gutachten erheben darüber hinaus auch schwere verfassungsrechtliche Bedenken gegen das neuartige standortunabhängige Genehmigungsverfahren. Laut LBU -Gutachten ist dieses Verfahren nicht mit der Verfassung vereinbar, weil damit das im Grundgesetz garantierte Grundrecht des Bürgers auf Rechtsschutz ausgehebelt würde. Die von den Mini-AKWs bedrohten Bürger können demnach im ersten standortunabhängigen Verfahren nicht gegen den Vorbescheid klagen, da sie mangels Standort nicht nachweisen können, daß sie als Bürger betroffen sind.

In einem zweiten standortabhängigen Verfahren können die nun als Anwohner betroffenen Bürger die Sicherheitstechnik des Reaktors nicht mehr gerichtlich überprüfen lassen, da dieses Verfahren nur noch diejenigen Aspekte umfaßt, die nicht schon im ersten standortunabhängigen Verfahren behandelt worden sind.

Auch das Gutachten der Landtagsjuristen geht davon aus, daß „die Präklusionswirkung der Rechtweggarantie des Grundgesetzes widersprechen“ würden. Der Gesetzgebungs- und Beratungsdienst hat deswegen ausführlich die juristischen Wege geprüft, durch die eine solche Verkürzung der Einspruchsrechte der Bürger durch Präklusion vermeidbar wäre. Die beiden juristisch gangbaren Wege enden allerdings mit einem für Umweltminister Werner Remmers fatalen Ergebnis. Die Bemühungen von Antragstellern und Genehmigungsbehörde, durch Vereinbarungen, Absichterklärungen und Verzichtserklärungen das Verfahren zu ändern, finden ihre Grenze in den Vorschriften des Atomgesetzes“, heißt es lapidar in dem Rechtsgutachten.

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