Streng komponiert (Zimmer 36 von Markus Fischer, Dienstag, 24.1.89, 23 Uhr 30, ZDF)

(Zimmer 36 von Markus Fischer, Dienstag, 24. Januar, 23 Uhr 30, ZDF) Totenbleich und delikat ist die Bildersprache von Markus Fischers Fernsehfilm; hermetisch und streng komponiert sind die Interieurs und Landschaften, in grafisches Licht-und-Schatten-Spiel getaucht - so durchgestaltet und ästhetisch durchdacht präsentiert sich jede Einstellung, daß es manchmal fast zu viel des künstlerischen Narzißmus ist. „Ich versuche in meinen Filmen, das Innenleben nach außen zu kehren“, sagt Fischer, doch oft hat man auch den Eindruck, er gehe genau den umgekehrten Weg und frage sich zuallererst: „Wie läßt sich meine Hell-dunkel-Manie optisch besonders erlesen zelebrieren?“ - Aber trotz dieser Eitelkeit, die aus vielen Bildern grüßt, erzählt Fischer in Zimmer 36 die fesselnde, tiefschwarze Psycho-Horror-Geschichte der sexuellen und töchterlichen Abhängigkeit einer erwachsenen Frau; eine Abhängigkeit, die anders als durch Mord nicht aufzulösen ist.

Nach dem Modell des Detektiv-Films macht sich hier ein Journalist - im Trenchcoat - daran, den scheinbaren Selbstmord eines Mannes aufzuklären. Er drängt sich der Witwe gegen ihren Willen auf und merkt bald, daß Hanna, die von ihrer alten Mutter drangsaliert wird, aufs höchste angespannt und innerlich vereinsamt ist. Nach und nach kommt der Journalist dem Geheimnis auf die Spur: Hanna hat ein groteskes Verhältnis mit dem früheren Geliebten ihrer Mutter, der Hanna im Stadium eines kleinen Mädchens festhalten und sie in dieser Phantasie gewissermaßen sexuell mißbrauchen will. Er trifft sich mit ihr regelmäßig im Zimmer 36 eines zwielichtigen Hotels, dort also, wo Hannas Mann im Nebenzimmer erhängt aufgefunden worden ist. Am Ende stellt sich heraus, daß Hannas Mann das Treffen seiner Frau mit diesem Mann belauscht hat und dafür von dem Alten getötet worden ist. Die Szene wiederholt sich mit dem Journalisten, doch diesmal befreit sich Hanna und ersticht den alten Mann.

Dies alles entwickelt sich sehr angespannt, sehr ökonomisch. Kein Satz zu viel, kein Satz zu wenig. Die Schauspieler - vor allem Babett Arens als Hanna - sind von unheimlichem, fremdem Reiz. Die Mutter - Anne-Marie Blanc eine bei lebendigem Leibe tote Frau, ein ehrgeiziges Monstrum, das die Tochter nicht loslassen, sie daran hindern will, zu leben: „Ich sehe und höre immer, was du tust.“ In Wirklichkeit kriegt sie alles und gar nichts mit. Die Szene, in der der Journalist bei Hanna und ihrer Mutter zum Essen eingeladen ist, ist eine der dichtesten, grausamsten, künstlichsten und zugleich realsten des Fernsehfilms. Zum ersten und einzigen Mal wird hier - vom Journalisten - das vornehm-haßerfüllte, klaustrophobe Klima durchbrochen: Die Mutter weist ihn auf eine Verletzung an seiner Lippe hin, und er sagt vulgär: „Besser die Lippe gerissen als in die Hose geschissen.“ Diese Bemerkung ist auch im ganzen Duktus des Fernsehfilms so völlig fehl am Platz und trotzdem überfällig, daß sich Hannas befreit-hysterisches Gelächter auf die Zuschauer überträgt. Aber der filmische Bann, in den Zimmer 36 zieht, löst sich noch eine ganze Weile nicht.

Sybille Simon-Zülch