Bremer Uni-Rektor ganz auf Kompromißlinie

Forderungskatalog der Bremer StudentInnen wird im Streikverlauf immer größer / Uni-Rektor in der Zwickmühle / Rektor tritt Teil seiner Kompetenz an neue, viertelparitätisch zusammengesetzte Beratungsgremien ab  ■  Von Klaus Schloesser

Bremen (taz) - „Universalverdünnung“ stand auf einem Fünf -Liter-Kanister, den der Bremer Universitätsrektor Jürgen Timm gestern den zu Pressekonferenz und Fototermin gebetenen Journalisten symbolisch entgegenschleppte. Demonstrativ ließ der Rektor sich einen Putzlappen reichen und polierte ungelenk, aber eifrig die kaum getrockneten Sprühparolen von den Holzwänden des Akademischen Senats-Saals, in dem das höchste Entscheidungsgremium der Universität zu tagen pflegt.

In der Tat war es Timm gelungen, die Forderungen der streikenden Bremer StudentInnen in den letzten Tagen so universell zu verdünnen, daß ein besetztes Hochschul -Institut nach dem anderen wieder den „ordnungsgemäßen Betrieb“ aufnehmen konnte. Drei Wochen nachdem die StudentInnen auf einer der bestbesuchten Vollversammlungen der letzten Jahre mit überwältigender Mehrheit für einen unbefristeten Streik plädiert hatten, scheint inzwischen drittelparitätisches Großreinemachen und Streikfolgen -Schadensbegrenzung angesagt. Nur wenn sämtliche Betonwände, Glasscheiben und Türschlösser durch eine gemeinsame Putz und Reparaturkolonne von StudentInnen, MitarbeiterInnen und ProfessorInnen blankpoliert und instandgesetzt würden, könne er von Strafanzeigen absehen, vermeldete der Rektor in einem offenen Brief. Und nur unter diesen Voraussetzungen könne er auch seine Kompromißangebote gegenüber den studentischen Forderungen aufrechterhalten. Außerdem müßten die Studierenden mit sofortiger Wirkung „auf die Blockade von Gebäuden als Form der Auseinandersetzung verzichten“.

In der Tat hatte sich der Bremer Rektor während der gesamten Streikaktionen in einer ausgesprochen schwierigen Situation befunden. Auf der einen Seite besetzten die StudentInnen ein Institut nach dem anderen und blockierten es für ProfessorInnen und wissenschaftliche MitarbeiterInnen.

Dem Rektor selbst blieb eine Woche lang der Zutritt zu seinem Dienstzimmer verwehrt. Auf der anderen Seite sah er sich den ultimativen Forderungen ausgesetzt, den „ungesetzlichen Zustand“ umgehend zu beenden. ProfessorInnen forderten ungehinderten Zutritt zu ihren Diensträumen, wissenschaftliche MitarbeiterInnen fürchteten um in monatelanger Forschungsarbeit liebevoll gezüchtete Bakterienkulturen, besorgte Eltern um Wohl und Bafög -Ansprüche ihrer studierwilligen Söhne und Töchter. Hinzu kam, daß dem Rektor mit den StudentInnen höchst unberechenbare Verhandlungspartner gegenübertraten. Je radikaler ihre Aktionsformen wurden, je weiter sie sich von der freundlichen Sympathiewerbung durch gefällige Klamaukaktionen in der Innenstadt entfernten und schließlich den gesamten Universitätsbetrieb lahmlegten, desto diffuser wurden ihre Forderungen.

Während am Anfang des Streiks simple Forderungen nach mehr Sitz- und Praktikumsplätzen, nach mehr Büchern für die Bibliothek und mehr ProfessorInnen für einzelne Studiengänge auf den Flugblättern der Streikkomitees auftauchten, rückten im Lauf des Streiks immer stärker Fragen der Prüfungsordnung, der Mitbestimmung, des männlich dominierten Wissenschaftsbetriebs und Forderungen nach interdisziplinärer Projektarbeit in den Vordergrund. Geradezu berauscht von der eigenen Phantasie und der schockartigen Erfahrung, den gesamten Hochschulbetrieb lahmlegen zu können, wurde gefordert, was Vollversammlungen und selbstorganisierte Arbeitsgruppen nur hergaben.

Der Rektor, einmal entschieden einen Polizeieinsatz zu vermeiden, geriet unter wachsenden Erfolgsdruck. Inständig beschwor er die StudentInnen auf einer Vollversammlung, zu der er selbst mit einer riesigen Anzeige in der Bremer Lokalpresse eingeladen hatte, bitte, bitte Verständnis für seine Situation aufzubringen und die „gesetzwidrigen Gebäudeblockaden“ aufzugeben. Um umgekehrt seinen guten Willen zu demonstrieren, ließ er noch während der Vollversammlung zwei Professoren, die sich rücksichtslos Zugang zu ihrem besetzten Institut verschafft hatten, per Dienstanweisung wieder an die frische Luft setzen..

Ähnliche Kompromisse enthält die offizielle „Antwort des Rektors auf die Forderungen der StudentInnen“, die gestern schriftlich an alle Studierenden verteilt wurde. Neben Straffreiheit und der Verschiebung von Prüfungs- und Klausurterminen tritt der Rektor darin einen Teil seiner Kompetenz an neue, paritätisch zusammengesetzte Gremien ab. Da die Rückkehr „zur guten, alten Drittelparität“ juristisch ausgeschlossen sei und nicht alle Universitätsgremien aufgelöst werden könnten, sollen für alle Zukunfsprobleme der Universität viertelparitätisch besetzte „Beratungsgremien“ einberufen werden. Ihre Entscheidungen, so verpflichtet sich der Rektor schriftlich, werde er als sein eigenes Votum für alle offiziellen Universitätsgremien übernehmen.