Zerrissen

Die Diskussion um die Freilassung der „Zwei von Breda“  ■ G A S T K O M M E N T A R

Seit Tagen schon bin ich innerlich zerrissen in der Frage, was ich von einer Freilassung der „Zwei von Breda“ halten soll. Die Positionen für und wider den Gnadenakt verlaufen quer durch die niederländische Gesellschaft, quer durch die politischen Parteien von links bis rechts, quer durch die Generationen. Und eben - quer durch mich. Die Fortsetzung einer Gefängnisstrafe, die jetzt schon 44 Jahre dauert, kann kaum Ziel eines Rechtsstaates sein, so will es ein Argument. Dies steht außer Zweifel: Wenn lebenslänglich heißt, warten, bis der Tod entscheidet, dann handelt es sich de facto um eine verkappte Todesstrafe. Und die wurde in den Niederlanden bereits vor langer Zeit abgeschafft.

Aber wie kann man denn die Grundsätze des Rechtsstaats dem persönlichen Schicksal dieser Zwei entgegenhalten, die sich Verbrechen schuldig gemacht haben, die in unserem Rechtsstaat für unmöglich gehalten wurden, für die nicht einmal die Begriffe existierten? Es ist doch unvorstellbar, daß man auch nur den Mut besitzt, eine Freilassung vorzuschlagen und gleichzeitig zu wissen, was das für die Opfer bedeutet. Für die Opfer gilt: Ihre Wunden werden lebenslänglich nicht heilen, ihre Familien und ihre Freunde werden nie zurückkehren. Wenn du wählen mußt zwischen dem Recht von zwei Massenmördern auf humane Behandlung und dem Recht der Opfer auf unsere Solidarität - Opfer, die nicht erst seit heute von uns verlangen, doch ihre Gefühle zu berücksichtigen, indem man die zwei dort läßt, wo sie waren

-dann ist die Entscheidung doch nicht schwer? Nein. Aber was ist schlimmer als die Begnadigung der Zwei? Schlimmer ist die ständige Notwendigkeit, über das Für oder Wider einer Freilassung zu diskutieren.

Jede/r von uns kann zu jeder beliebiger Zeit die Diskussion neu eröffnen, und wieder sind es dann die Opfer, die gezwungen sind, zu erklären, was das für sie bedeutet; wieder sind es die Opfer, die erneut an ihre traumatischen Erfahrungen erinnert werden. Deshalb: Weg mit ihnen, laßt sie uns als unerwünschte Personen zurück nach „Deutschland“ schicken. Aber diesen Standpunkt in aller Öffentlichkeit vertreten? Ich kann das einfach nicht. Denn mich für die Freilassung auszusprechen bedeutet, wie auch immer, diejenigen zu verletzten, mit denen ich mich am meisten verbunden fühle. Also muß ich schweigen aus Zerrissenheit und denke an nichts anderes.

Pieter Rheiter, Interessensgemeinschaft für die Opfer des Nationalsozialismus, Amsterdam