Antisemitismus vor Prager Gericht

Ein Überlebender der Nazi-Vernichtungslager wehrt sich gegen den Vorwurf, Agent der Gestapo gewesen zu sein Die Parteispitze protegiert einen Buchautoren, der Propaganda gegen den Staat Israel und Judenfeindschaft vermengt  ■  Von Klaus Wolschner

Alte antisemitische Ressentiments sind in der Tschechoslowakei bei einem von der Öffentlichkeit vielbeachteten Gerichtsverfahren wieder aufgebrochen. Kläger ist Erich Kulka, ein in Jerusalem lebender Historiker tschechischer Herkunft. Kulka hat mehrere Jahre in nationalsozialistischen Vernichtungslagern verbracht und als Augenzeuge in den fünfziger und sechziger Jahren darüber berichtet. Ausgerechnet dieser Kulka wird nun in der CSSR als „Gestapo-Agent“ denunziert.

Ins Rollen kam das Verfahren durch ein Buch. Im gelobten Land? - so der tschechische Titel - wiederholt Vorwürfe gegen Kulka, die bereits 1971 in der kleinen Parteizeitschrift 'Tribuna‘ erhoben worden waren. Buchautor Josef Sebesta beschreibt die Entstehung des Staates Israel als Werk imperialistischer Agenten. Sebesta ist Mitarbeiter des Prager Innenministeriums und war zeitweise in Nahost tätig.

Seine Polemik gegen den Staat Israel und gegen die Exil -Tschechoslowaken, so findet der Prager Literaturkritiker Jan Lopatka, propagiert „auf die vulgärste Art und Weise den Antisemitismus“. Den in München lebenden Exil-Tschoslowaken Ota Filip erinnert das Buch an den „alten, ganz primitiven, stalinistischen Antisemitismus, wie wir ihn in den Jahren 1950 bis 1956 erlebt haben“.

Mit dem Gerichtsverfahren möchte der Anwalt der „Charta 77“, Dr.Josef Danisz, die Behörden und den Parteiapparate nun zwingen, einzuräumen, daß die Beschuldigung gegen Kulka haltlos ist. Kulka hat fünf Jahre in verschiedenen Konzentrationslagern der Nazis zugebracht; nur durch großes Glück und verzweifelten Mut konnte er sich damals mit seinem Sohn von einem Transport absetzen. Nach dem Ende des Nationalsozialismus wurde Kulka als Augenzeuge und Autor verschiedener auch ins Deutsche übersetzte Bücher über die „Todesfabrik“ (Auschwitz) und die Vernichtungslager bekannt, Kulka war für die offizielle antifaschistische Propaganda jahrelang nützlich und wurde in der Tschechoslowakei für seinen Kampf gegen den Faschismus ausgezeichnet. Ausgerechnet die Tatsache, daß er die Todesfabriken überlebte, wird in der Polemik Im gelobten Land? jetzt als Beweis für seine Agententätigkeit angeführt.

Kulka ist zur Zielscheibe der politischen Polemik geworden, seitdem er nach dem „Prager Frühling“ emigrierte und in Jerusalem an dem wissenschaftlichen Institut der Holocaust -Gedenkstätte Yad Vashem tätig wurde. Dort hat er insbesondere eine Arbeit über die Beteiligung der tschechoslowakischen Juden an antifaschistischen militärischen Einheiten geschrieben - dieses Werk ist bisher auf Tschechisch nicht zu haben. Seit 1972 arbeitet Kulka für den tschechischen Dienst von „Radio Free Europe“.

Während der öffentlichen Kontroverse zog der Verlag im Mai 1988 den Rest der Auflage von Im gelobten Land? aus dem Verkauf zurück. Die Parteizeitung 'Rude Pravo‘ behauptete prompt, „zionistische Emigranten aus der CSSR“ hätten „in Israel“ gegen das Buch eine Klage erhoben. In der Redaktion der 'Rude Pravo‘ in Prag hat es über diese Behauptung, so weiß der in München lebende Exil-Tscheche Ota Filip, einen Konflikt gegeben. Die Redaktion wollte den Artikel nicht drucken, zumal gerade zwischen der Sowjetunion und Israel wieder offizielle Kontakte geknüpft werden; es habe aber einen Wink des Zentralkomitees gegeben, den Artikel erscheinen zu lassen.

Belege für die ungeheuerlichen Behauptungen über Erich Kulka konnten bislang nicht gebracht werden. Der in Jerusalem lebende Pensionär sah sich genötigt, nun - fast 50 Jahre danach - Zeugen aus seinem Heimatdorf zum Beweise dafür zu suchen, daß er kein Gestapo-Agent gewesen war. Im Oktober 1988 wurde die Verhandlung über die Verleumdungsklage Kulkas auf unbestimmte Zeit vertagt.