Datatypistinnen zu Dumpingpreisen

■ Helmut Reinhold bezahlt Datatypistinnen bei einer 40-Stunden-Woche einen Monatslohn von 620 Mark brutto - später sogar noch mehr / Firma kriegt unter anderem Aufträge von Daimler, der GEWOBA und dem Sozialamt

Die meisten Frauen bei der Bremer Firma „Helmut Reinhold Datenerfassung GmbH“ verdienen so wenig Geld, daß sich selbst Sozialhilfebezieherinnen im Vergleich wie weibliche Krösusse fühlen können. Genau 620 - in Worten sechshundertzwanzig - Mark bietet Helmut Reinhold seinen „Mädchen“ als Brutto-Einstiegsgehalt im Monat. Doch fast kein „Mädchen“ verdient haargenau sowenig wie das andere, es gibt als Zubrot Barzulagen von 50, 100, 130 Mark oder mehr, je nach Betriebszugehörigkeit und Anschlagszahl.

Die „Mädchen“ bei der Firma Reinhold sind zwischen 20 und 28 Jahre alt und haben sich eigentlich was anderes für ihr Leben gewünscht, als ewig Zahlen einzutipen und dafür unter tausend Mark netto zu verdienen. Eine, die deshalb aufgemuckt hat, ist vorgestern von einem auf den anderen Tag gekündigt und mit Hausverbot belegt worden. Die junge Frau heißt Christiane Szepoks. Sie hatte das Fachabitur für „Gestaltung“ in der Tasche, als sie bei der Zeitungslektüre auf die Annonce stieß: „Ausbildungsplatz

zu vergeben“. Sie meldete sich am Breitenweg 53 bei der Firma Helmut Reinhold und erfuhr, daß es sich keineswegs um begehrte Ausbildungs-, sondern um schlichte „Anlernplätze“ handelte. Sie unterschrieb den 620-Marks-Vertrag dennoch: „Ich hab keine Ahnung gehabt, ich war frisch von der Schule weg.“ In diesem Vertrag verpflichtet sie sich zudem, „daß sie zum Zeitpunkt der Einstellung nicht schwanger ist und nicht drogenabhängig oder sonstige Leiden hat.“ Der Bremer Bezirkssekretär der „Deutschen Angestellten-Gewerkschaft“ (DAG), Hartmut Frensel, hat zwei Begriffe für einen solchen Vertrag: „Ausbeutung pur“ und „eindeutig sittenwidrig“. Seine Gewerkschaft will Christiane Szepoks und ihre aufmüpfigen KollegInnen darin unterstützen, Kündigungsschutzklage und Leistungsklage zu erheben.

Hartmut Frensel, der schon seit längerem bemüht ist, Fremdfirmen, die unter Tarif bezahlen, auf die Schliche zu kommen: „Wir werden das als Präzedenzfall auch spielen. Wir kriegen oft

anonyme Anrufe, wo Beschäftigte aus Fremdfirmen haarsträubende Dinge schildern. Aber es ist selten, daß die Kollegen dann auch zu uns ins Haus kommen.“

Die Firma Reinhold besteht seit 1968 und hat namhafte Kundschaft: Daimler Benz und Lloyd Dynamo, Neue Heimat Niedersachsen und Gewoba Bremen, Kühne & Nagel und auch das Bremer Sozialamt. Die 14 Frauen, die für den Chef Helmut Reinhold tagein tagaus Zahlen von Belegen auf Magnetbänder tippen, sitzen alle in einem Arbeitssaal. Ab und an werden sie auch an Betriebe

wie Daimler Benz im Rahmen von Werkverträgen ausgeliehen. Dort können sie auch erfahren, was normalerweise eine Datatypistin verdient: 1.800 Mark brutto zum Anfang und schließlich zwischen 2.200 und 3.300 Mark brutto.

Christiane Szepoks hatte sich zunächst vor allem über das Firmenklo aufgeregt und das Gewerbeaufsichtsamt eingeschaltet. Ein Mitarbeiter kam zur Besichtigung und stellte fest, daß ein „Feuerlöscher und ein Seifenspender“ fehlen. Um die Bezahlung und die Arbeitsbedingungen - 16 Stun

den am Bildschirm kommt schon mal vor - kümmerte sich der freundliche Herr nicht weiter. Nach der Gewerbeaufsicht wandten sich unzufriedene Kolleginnen an die Angestelltenkammer. Die habe ihnen beschieden, sich endlich gewerkschaftlich zu organisieren. Und das taten dann etliche auch. Die Hälfte der Belegschaft, so der DAG-Sekretär, sei bereit zu klagen.

Der Unternehmer Helmut Reinhold selbst findet, daß von „Ausbeutung“ überhaupt keine Rede sein kann. 620 Mark brutto finden er und seine Prokuristin

Ute Richter völlig angemessen: „Die sind absolute Anfänger. Die können noch nicht mal Schreibmaschine-Schreiben.“ Ein Jahr mindestens dauere die Anlernzeit zur Datatypistin und dann gebe es ja auch mehr Geld. Auf einem Blatt hat er die Löhne seiner Angestellten handschriftlich notiert und gestern - nach der ersten kritischen Rundfunksendung - bei einem Notar hinterlegt. Er versichert, die Zahlen seien stimmig, demnach verdienen drei langjährig betriebszugehörige „Mädchen“ genau abgestuft bis zu 3.920 Mark brutto.

B.D.