Stroessner weggeputscht

■ Nach 35 Jahren: Paraguays Armee unter General Rodriguez stürzt ihren Diktator / Hundert Tote / Nach Umfrage: 90 Prozent der Bevölkerung begrüßt den Putsch

Asuncion (afp/dpa) - Paraguays Armee hat in der Nacht zum Freitag den seit 35 Jahren herrschenden Diktator Alfredo Stroessner gestürzt. Bei dem blutigen Putsch sollen etwa 100 Menschen ums Leben gekommen sein. Die Streitkräfte in der Hauptstadt Asuncion teilten weiter mit, dabei handele es sich nicht nur um Soldaten und Polizisten. Der neue Machthaber, Divisionsgeneral Andres Rodrigues, galt als enger Freund des Diktators. Er erklärte gestern morgen über alle Rundfunkanstalten des Landes, die Situation sei „dank der Einheit der Armee und der Bevölkerung“ vollkommen unter Kontrolle. Der 76jährige Stroessner sei festgenommen und auf dem Gelände des Ersten Armeekorps inhaftiert worden. Stroessner befinde sich bei guter Gesundheit. Außer dem Diktator sollen sein Privatsekretär, Mario Benitez, der Innenminister Sabino Montanaro und 32 weitere Funktionäre des Stroessner-Regimes verhaftet worden sein.

Der Putsch ist offenbar Resultat interner Streitigkeiten innerhalb der herrschenden Machtclique. Der Anführer des Putsches, der 66jährige Rodriguez, kommandiert seit 27 Jahren das einflußreiche 1. Armeekorps. Er wird in der zerstrittenen regierenden Colorado-Partei dem Flügel zugerechnet, der für begrenzte demokratische Reformen eintritt. Nach Angaben der Opposition hatte sich Stroessner in der vergangenen Woche entschlossen, Rodriguez - dessen Tochter mit einem Sohn des Diktators verheiratet ist - in den Ruhestand zu schicken.

Der Putschistenführer nannte in seiner Rundfunkrede keine Gründe für die Aktion. In seinem Kommunique hieß es: „Liebe Landsleute, geschätzte Kameraden der Streitkräfte, wir haben unsere Kasernen verlassen, um die Würde und die Ehre der Streitkräfte zu verteidigen, die regierende Colorado-Partei vollständig zu einigen, die Demokratisierung Paraguays einzuleiten und um die Achtung der Menschenrechte und den Schutz unserer katholischen Religion zu gewährleisten.“

Dem Putsch des Ersten Armeekorps hatten sich auch die 3. und 4. Infanteriedivision ange Fortsetzung auf Seite 2

FORTSETZUNGEN VON SEITE 1

schlossen. Die Straßen von Asuncion, die gestern morgen zunächst vollkommen verwaist waren, füllten sich gegen Mittag mit jubelnden Menschen. Nach einer Blitzumfrage des katholischen Rundfunksenders Caritas unterstützen rund 90 Prozent der Befragten den Putsch, befürworten allerdings die Übergabe der Macht an eine Zivilregierung. Eine Einwohnerin von Asuncion sagte, Gerüchte von einem bevorstehenden Coup seien schon am Donnerstag umgegangen, und in den Supermärkten hätten sich Hamsterkäufer gedrängt. Gestern mittag waren an allen strategisch wichtigen Stellen der Stadt Panzer und Truppen postiert. Der internationale

Flughafen von Asuncion war gestern morgen nach Informationen der argentinischen Luftlinie Aerolinas Argentinas geschlossen.

Oppositionsführer Domingo Laino von der Authentisch -Radikalliberalen Partei setzte sich während des Putsches „vorsichtshalber“ ab und forderte seine Anhänger aus dem Untergrund auf, mit friedlichen Mitteln für die Demokratie zu kämpfen. Die Opposition schenkte den ersten Erklärungen von Rodriguez, er wolle die Demokratie wiederherstellen, wenig Glauben: Die Putschisten stammten aus den Reihen der regierenden Colorado-Partei und den ihr ergebenen Militärs.

Unter der Kontrolle der Militärs wird im Norden Paraguays Marihuana angebaut. Für den Export ist General Andres Rodrigues zuständig. In den USA wartet auf ihn noch ein

offenes Verfahren wegen Drogenhandels.

Noch im vergangenen Jahr galt die Position von General Alfredo Stroessner in Paraguay als unangefochten. Aus den Wahlen vom 14. Februar 1988 war der Staatschef mit den in Paraguay üblichen 89 Prozent der Stimmen als Sieger hervorgegangen und zum achten Mal zum Präsidenten gewählt worden. Mehrere Oppositionsparteien, die sich wiederum an dem Urnengang nicht beteiligten, sprachen von einem „gewaltigen, skandalösen Betrug“.

An die Macht gekommen war der am 3. November 1912 geborene katholische Berufsoffizier 1954 durch einen Militärputsch. Nach 35 Jahren Gewaltherrschaft ist er damit nach dem Nordkoreaner Kim Il-Sung der am längsten regierende Diktator der Welt. 1984 dokumentierte die Ge

fangenenhilfsorganisation amnesty international, daß in Paraguay auch Kinder und alte Menschen vor willkürlicher Verhaftung, Folter und Ermordung nicht sicher sein können.

Paraguay ist mit 406.752 Quadratkilometern mehr als anderthalbmal so groß wie die Bundesrepublik Deutschland. Von den rund vier Millionen Einwohnern sind 95 Prozent Mestizen. Wichtigster Wirtschaftszweig ist die vom Regime nachhaltig geförderte Landwirtschaft. Allerdings lebt der größte Teil der Landbewohner „von der Hand in den Mund“ und nimmt an der Marktwirtschaft praktisch nicht teil.