Berlin durch Schießlärm abgeschreckt

■ Amerikanischer Stadtkommandant Haddock spricht sich klar gegen eine Reduzierung der alliierten Truppen in West-Berlin aus Abschreckung gegen Sowjets und DDR-Armeen durch Stärkung der Kampfkraft „glaubwürdig“ machen / Lärm als Preis der Freiheit

Peng! Mitten in die rot-grünen Koalitionsgespräche, bei denen die AL u.a. die Reduzierung der westalliierten Truppen auf ein symbolisches Maß fordert, ließ der amerikanische Stadtkommandant Generalmajor Haddock eine politische Handgranate explodieren: Es gebe keinen Anlaß, die Stärke der amerikanischen Truppen in West-Berlin zu reduzieren, sagte Haddock am Samstag bei einem Manöver auf dem Übungsgelände Park Range in Lichterfelde, zu dem Presse und schießlärmgeschädigte Anwohner geladen waren. Letzteren konnte Haddock außer gutem Willen wenig Besserung versprechen. Auch der militärische Übungsbetrieb könne nicht eingeschränkt werden, eher im Gegenteil: Da die Bedrohung West-Berlins in den vergangenen Jahren durch eine Verstärkung der sowjetischen und DDR-Truppen rund um die Inselstadt zugenommen habe, müsse dies durch besonders hochwertiges Training der rund 6.000 US-Soldaten in der Berlin-Brigade und der anderen alliierten Truppen wettgemacht werden, findet der General. Die Westalliierten verfügten eben nur knapp über eine Division, während in der DDR und Ost-Berlin mehrere potentiell feindliche Divisionen stehen. Nur glaubwürdige Abschreckung halte einen Feind davon ab, seine „Aufmerksamkeit auf Berlin zu richten“, dozierte der Generalmajor kommißköpfig. Sein Vertrauen in Gorbatschows Friedensbekundungen ist offenbar gering: „Wir verteidigen Berlin 44 Jahre lang durch Abschreckung“, so Haddock im Manöverlärm der ratternden Panzer und Jeeps, „und wir hatten Erfolg damit - das sollten wir nicht ändern.“ Die rund 50 geladenen Anwohner sahen das in großen Teilen offenbar genauso - nur wollen insbesondere die Anwohner des Manövergeländes Park Range in Lichterfelde, vor allem in den Hochhäusern an der angrenzenden Reaumurstraße, nicht immer nachts - wie seit dem vergangenen Freitag wieder - durch dröhnende Panzer, krachende Übungsmunition und knatternde MGs aus dem Schlaf gerissen werden. Sie wollen, wie eine Schießplatzanrainerin ausdrücklich erklärte, die militärische Präsenz der „Schutzmächte“ („die müssen ja üben“), aber sie wollen, daß die Amis sich mehr als Umweltschutzmacht aufführen. Die von den Amis geschickt als Protest-Tranquilizer in Szene gesetzte Vorführung von allerlei blankgeputztem Kriegs- und Krachgerät in der Geisterstadt konnte die realen Lärmleiden nicht mindern. Zur Zeit sind rund 2.500 Mann schießend und kämpfend auf dem Gelände zugange, eine Woche dauert das Manöver, an dessen Lärmemissionen wieder Zehntausende Berliner unfreiwillig teilhaben. Zu der entscheidenden Frage eines weiterdenkenden Anwohners, ob West-Berlin überhaupt militärisch zu verteidigen sei, wollte sich Haddock nicht äußern, auch nicht zu einer Infas-Umfrage, nach der jeder zweite Berliner auf lange Sicht eine Truppenreduzierung befürwortet. Haddock wich bei diesen Themen keinen Zollbreit von seiner militärischen Abschreckungslogik ab. Die im Anmarsch auf West-Berlin befindliche SPD/AL-Koalition ist fürHaddock angeblich auch kein Thema; das sei Sache der Berliner. Auch wenn die Militär-Show am Samstag schon lange vor dem Wahlsonntag geplant war: In die rot-grünen Verhandlungen, die um sachliche Diskussion über das symbol- und emotionsgeladene „Essential“ Alliierte Präsenz bemüht sein muß, hat der General mit seinem Gefühlsappell einen unübersehbaren Farbtupfer gesetzt: in Nato-Olivgrün.

Thomas Rogalla