Feministische Forschung-betr. "Erkenntnis und Geschlecht", taz vom 28.1.89

betr.: dito

Leider bringen diese Gespräche über feministische Naturwissenschaften Eure LeserInnen nicht viel weiter an die Hauptfrage: Was ist sie eigentlich? Über frauenspezifische Denkstrukturen scheint es nicht zu gehen, trotz aller Spekulationen und Hoffnungen. Alle erwähnten Beispiele mit zum Teil interessanten Ansätzen über andere Arten von Denken und Wissenschaft wurden auch oder überwiegend von Männern entwickelt. Zum Beispiel auf die Illusion von Kontrolle und ihren Zusammenhang mit Todesangst, die beide in vielen Forschungsbereichen aufzudecken sind, ging Erich Fromm in Haben oder Sein schon weitgehend ein. (...)

Solange es keine konkreten Beispiele von wissenschaftlichen Denkmustern bzw. Forschungsmethoden gibt, die nur von Frauen erfunden und entwickelt wurden und vermutlich werden könnten, scheint eine Zusammenarbeit zwischen Frauen und Männern, die bestimmte Impulse in die Naturwissenschaften bringen wollen, sinnvoller als Ansprüche nach einem männerfreien Ansatz in der Wissenschaft.

Andererseits ist klar, daß Frauen andere politische und deswegen intellektuelle Interessen haben als Männer. Und so kann man/frau feministische Forschung, die entweder Frauen oder Machtverhältnisse zwischen den Geschlechtern betrifft, in Medizin und Biologie sowie in Psychologie oder Politologie ernsthaft fordern. (...)

Bessere Studien- und Arbeitsbedingungen für Frauen in den naturwissenschaftlichen Fachbereichen an den Hochschulen soll es unbedingt geben, aber nicht um rein weibliche Versuche nach einer metaphysischen Wende zu unterstützen, sondern nur um Frauen und Männer näher an substantielle gesellschaftliche Gleichheit zu bringen, und gleichzeitig die intellektuellen und politischen Interessen von Frauen überall in der Wissensproduktion zu verankern.

Roger Karapin, Berlin 31