Deutsche Rakete als Pershing-Ersatz?

Sechs bundesdeutsche Firmen entwickeln erste Rakete der Nachkriegszeit / Möglicherweise mit atomaren Sprengköpfen zu bestücken / Nachfolge für die der Bundeswehr „verlorengegangene“ Pershing-1a? / Bonner Dementi spricht von Begriffsverwirrung  ■  Von Nowakowski und Zumach

Berlin (taz) - Nach der Beteiligung deutscher Unternehmen am Bau einer Chemiewaffenfabrik in Lybien und dem Tornado -Geschäft für Jordanien wollen bundesdeutsche Firmen nun auch mit Raketen am tödlichen Geschäft verdienen: Sechs deutsche Unternehmen unter Federführung des Münchner Rüstungskonzerns Messerschmitt-Bölkow-Blohm sind an der Entwicklung einer Kurzstreckenrakete beteiligt, die möglicherweise auch Atomsprengköpfe tragen kann.

Aus vertraulichen MBB-Unterlagen hat das Fernsehmagazin Report über das Projekt „Technex“ erfahren, das bei MBB KOLAS genannt wird. Die Rakete soll eine Reichweite von knapp unter 500 Kilometer haben. Das amerikanische Unternehmen Martin-Marietta - Hersteller des atomwaffentragenden „Pershing„-Flugkörper und der zur „Modernisierung“ anstehenden Atomrakete „Lance“ - hat seine Teilnahme an der Entwicklung bestätigt. Ein Sprecher der US -Firma erklärte, der Konzern habe vom Bundesverteidiungsminsiterium 23 Millionen Dollar für ein Forschungsvorhaben über eine „konventionelle ballistische Rakete“ erhalten, die „ausschließlich für den Einsatz gegen feindliche Flugplätze und Flugzeuge gedacht“ sei. Diese Forschungsarbeit sei abgeschlossen. In einer im Oktober 1988 erstellten Machbarkeitsstudie heißt es: „Binnen zwölf Stunden können mit dieser Raktete 50 Prozent der Luftstreitkräfte des Warschauer Paktes ausgeschaltet werden.“

Wie es in Bonn heißt, soll bereits in wenigen Wochen, Ende Februar, über die Einführung der Rakete entschieden werden. Auf bundesdeutscher Seite sind neben MBB die Firma MAN in Augsburg, Diehl in Nürnberg und drei weitere Betriebe beteiligt.

Es ist das erste Mal, daß deutsche Unternehmen militärisch verwendbare Raketen entwickeln. Der Bundesrepublik waren nach ihrem Eintritt in die Nato und die Westeuropäische Union 1954 Produktionsbeschränkungen auf sämtlichen Bereichen militärischer Fertigung auferlegt worden, die erst allmählich fielen. Die letzten Hindernisse, die dem Bau von Raketen entgegenstanden, fielen vor knapp zwei Jahren.

Die neue Rakete, deren Auslieferung ab 1995 möglich ist, soll nach vorliegenden Informationen mit den Lenksystem der „Pershing“ ausgestattet werden. Dieses System gilt als das zielgenaueste der Nato. Das Bundesverteidiungsministerium hat „mit Nachdruck zurückgewiesen“, es werde durch die Bundeswehr ein nukleares Flugkörpersystem als Nachfolge für das Waffensystem Pershing Ia entwickelt. Man habe ausschließlich Interesse an einem Raketenträger für konventionelle Bomben. Eine Teilnahme deutscher Firmen an der Entwicklung einer Atomrakete sei bereits durch den Atomwaffen-Sperrvertrag ausgeschlossen. Danach dürften weder die USA technische Unterlagen für eine solche Entwicklung an die Bundesrepublik weitergeben, noch dürfe sich die BRD am Bau solcher Raketen beteiligen.

Dennoch spricht nach Ansicht des Friedens- und Konfliktforschers Randolff Nikutta von der Berliner Berghofstiftung einiges dafür, daß die Rakete nicht nur konventionelle Bombenlast tragen soll. „KOLAS“ ist als bodengestützte Rakete mit einer Reichweite von 490 Kilometern Fortsetzung auf Seite 2

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und auch als luftgestützte Variante in der Entwicklung.

Eine mögliche atomare Nutzung der geplanten Rakete befürchtet auch der SPD-Verteidigungsexperte Erler. Konfliktforscher Nikutta verweist zudem auf den expandierenden Markt für Raketen, der für deutsche Unternehmen reizvoll ist. Saudi-Arabien hat gerade Raketen mit einer Reichweite von 1.500 Kilometern von der Volksrepublik

China gekauft. Nikutta hält es auch für möglich, daß sich MBB und Martin-Marietta in den USA gemeinsam um die Auftragsvergabe für die Modernisierung der Kurzstreckenrakete Lance bewerben.

Für das Verteidiungsministerium ist der Atomwaffenverdacht lediglich Folge eines Irrtums. Im Ministerium wird nämlich unter dem Stichwort KOLAS die gesamte Planung der Luftstreitkräfte für die Zukunft betrieben, „einschließlich ihrer nuklearen Rolle“, sagt Sprecher Monte. MBB habe unglücklicherweise für ihr Raketenprojekt intern

ebenfalls das Stichwort KOLAS gewählt.

Die Bundesregierung hatte erst 1987 nach zähem Widerstand und auf massiven Druck der USA hin dem Einschluß der Pershing-1a-Raketen in den INF-Vertrag zugestimmt. Gegen die Beseitigung dieser bislang einzigen atomar bestückbaren weiterreichenden Rakete der Bundeswehr hatte sich vor allem die CDU gewehrt. Diese Pershings sind im Besitz der Bundeswehr, die Atomsprengköpfe lagern bei den Amerikanern. Unter der Bezeichnung „Flugkörper90“ liefen seit

Anfang der 80er Jahre Planungen für einen Pershing-Ia -Nachfolger mit einer Reichweite von 700 bis 800 Kilometern. KOLAS scheint die - wegen des INF-Vertrags - auf knapp 500 Kilometer abgespeckte Weiterführung dieses Projekts zu sein. Minister Scholz deutete gegenüber Report eine entsprechende Regelung der Verfügung über die KOLAS-Rakete an. Es werde zwar keine rein deutsche Rakete geben, aber „in Kooperation“ sei „alles möglich“. Bei den Sozialdemokraten haben die MBB-Raketenpläne heftige Kritik hervorgerufen.