: 600 Seiten Faschismus von A bis Z
■ „Taschenwörterbuch des „Nationalsozialismus“ landet ungebeten in Bremer Briefkästen / Bremer Verleger nutzt angeblich nur „Marktlücke“ / Merkwürdige Paralleleln zwischen Kundenkartei und AtomkraftgegnerInnen
A wie „Antisemtismus“: „Die NSDAP wird im Kampf um die Erneuerung des deutschen Reichs auch gleichzeitig das Sammelbecken für die Kräfte gegen das Judentum. Mit der Machtergreifung Hitlers ist der Judeninvasion Einhalt geboten.“ B wie „Bonze“: „Mit B. bezeichnet man in Deutschland den sozialdemokratischen Funktionär, den Gewerkschafts-und Parteisekretär“. K wie „Konzentrationslager“: „Das Konzentrationslager dient der zwangsweisen Internierung politischer Schädlinge und Verbrecher. Die nationalsozialistische Regierung macht von dem Mittel des K. Gebrauch.“
Von A bis Z werden BremerInnen zur Zeit über Ideologie, Ge
schichte und Praxis des deutschen Natonalsozialismus unterrichtet. Von Nazis selbst. Faschismus sozusagen aus erster Hand - dafür bürgt ein kleiner Verlag namens „Faksimile“ mit Sitz in Bremen Nord. Mehrtausendfach vertreibt der Verlag zur Zeit ein Reprint des „Taschenwörterbuch des Nationalsozialismus“, das 1934 in Leipzig erschien, um dem deutschen Volk wieder „soldatische Haltung“ und „organisierten Dienst an Volk und Staat“ beizubringen, wie es im Originalvorwort heißt.
Vertrieben wird die Bremer Neuauflage allerdings nicht nur auf ausdrückliche Bestellung des 6-bis 700-köpfigen Faksimile-Buchkreises. Es landet auch in
den Briefkästen völlig ahnungsloser BremerInnen, soweit sie eine Lieferung nicht zuvor ausdrücklich und schriftlich abgelehnt haben: „Bitte nur ankreuzen, wenn wir nicht liefern sollen“ steht auf einer Karte, die der Buchversand vor der Bücherlieferung in Bremischen Briefkästen placiert. Wer sie achtlos wegwirft, wird wenig später Besitzer des „NS -Taschenwörterbuchs“ - eine Werbeaktion des Verlages für eine neuaufgelegte Buchreihe zur „Geschichte des Nationalsozialismus“.
Außer dem „Wörterbuch“ nebst einer Rechnung über 25 Mark finden die EmpfängerInnen einen vierseitigen Verlagsprospekt in ihrem Buchpaket. Wem
das „Wörterbuch“ gefallen hat, kann z.B. für neun Mark „Adolf Hitler, Die Südtirolfrage“, für 10 Mark „Hubert Grosser, Volk ohne Staat“ oder Rudolf von Sebettendorff, Bevor Hitler kam“ (32 Mark) bestellen.
Verlagsinghaber Wieland Soyka kann sich die unerbetene Versorgung mit faschistischer Propaganda nur mit einem Fehler bei der „Umstellung unserer Werbung auf die hauseigene EDV“ erklären. Möglicherweise seien die Anschriften für unverbindliche Werbeschreiben dabei versehentlich in die Datei des „festen Kundenbestandes“ eingespielt worden. Wer aufgrund dieses „Irrtums“ wider Willen mit 600 Seiten Faschismus im Originalton beliefert wurde, könne das Buch selbstverständlich zurückschickenund werde dann auch nicht mit „einem Erinnerungsschreiben im Falle der Nichtzahlung belästigt“, sicherte Soyka gegenüber der taz großzügig zu.
Die Werbeanschriften, die üblicherweise nur mit Prospektmaterial versorgt würden, will Wieland Soyka durch „Empfehlung“ treuer Kunden und in Zusammenarbeit mit anderen einschlägigen Verlagen und Antiquariaten bekommen haben. Unfreiwillig belieferte, der taz bekannte, EmpängerInnen legen allerdings eine andere Theorie über Soykas Werbestrategien nahe. Zu ihrem Verständnis muß eine der schillernd
sten Bremer Figuren im Kampf gegen die Atomenergie erwähnt werden: Walter Soyka, entschiedener Atomkraftgegner, notorischer Prozeßhansel und um Gene und Rasse besorgter Sektenjünger der „Österreichischen Freunde der Gotteserkenntnis (Ludendorff)“, die ihre Gründung der Gattin des deutschnationalen Generalstabschefs und „Tannenberg -Siegers“ Erich Ludendorff verdankt.
Keiner sammelte in den 70er Jahren so intensiv Unterschriften unter Ressolutionen, Petitionen und Prozeßvollmachten gegen Atomkraftwerke in Bremen wie Walter Soyka. Faksimile-Verlagseigner Wieland Soyka ist der Sohn Walter Soykas. Daß er das sorgfältig archivierte Adreßmaterial seines Vaters heute als Kunden-Kartei ausschlachtet, schließt Wieland selbst aus. Die merkwürdigen Übereinstimmungen zwischen Bremer AKW-Gegnern und der eigenen Kundendatei kann er sich nur so erklären: „Möglicherweise hat uns ein Bekannter meines Vaters ohne unser Wissen Auszüge aus dessen Unterschriftenlisten als Interessenten an unserem Verlagsprogramm weitergegeben.“
Politik will der Soyka junior mit seinem nationalistischen Buchprogramm angeblich ohnhehin nicht machen. Soyka: „Ich habe nur eine Marktlücke entdeckt.“
Klaus Schloesser
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