Geld ist Papier

■ Leonid Fjodorev und Dima Matkovski, Gitarristen der Leningrader „Auktion“ sprachen mit der taz über die Liebe, Rockmusik in der UdSSR, Geld, Offizielles und sozialistische Saxophone

„Can I help you?“ fragt er in kavalierfeinem Englisch, als mein Herrenrad übers Domsheide-Kopfsteinpflaster holpert. „Der Russe ist ein höflicher Mensch“, hätte meine Mutter gesagt. Meine Mutter sagt immer „der Russe“, „der Amerikaner“, „der Franzose“. Interview-Termine wie dieser gehören dazu genutzt, den „Der„-Sagern das schlichte Denken in Singularkategorien ganz differenziert zu vermiesen.

Dima (Dimitrij) Matkovski nämlich, Interviewpartner Nr. 1, ist Gitarrist einer einigermaßen schrillen Popband (Vorurteil: „Der Russe macht keine Popmusik, er spielt Balalaika und Volksweisen“). Vorher war er Ingenieur für Kältetechnik, Spezialgebiet Air-Condition. Heute bekommt AUKTION, die Band für die Dima über die Gitarrensaiten (1 Satz für 30 Rubel) schrummelt, pro Konzert zwischen 1000 und 2000 Rubel. Das muß auf zwölf Auktionisten aufgeteilt werden, aber immerhin: „Jeder von uns

verdient mit einem Konzert so viel wie ein Ingenieur unterer Qualifikationsstufe im Monat.“

„Wir sind inzwischen eine ziemlich populäre Gruppe“, erklärt Leonid Fjodorov, Interviewpartner Nr. 2 und Bandgründer der Auktion, den Preisanstieg im Sowjet-Pop. Leonid sieht aus wie der Barmann einer Dortmunder Szene -Kneipe (Vorurteil: „Der Russe trägt Kniebundhosen, Bauernhemden und derbes Schuhwerk“) und ist verheiratet. „Das ist das Interessanteste an der ganzen Bandgeschichte.“ Leonids Gattin ist die Schwester von Oleg Garkuschka. Oleg und Leonid haben die Auktion 1980 gegründet. In den russischen Alltag ohne Perestroika und Glasnost.

„Es war bis vor zwei, drei Jahren einfach nicht möglich, in der Sowjetunion von Rockmusik zu leben“, sagt Leonid zum Bier. „Schon seit '82 gibt es in Leningrad den Rock-Club, den ersten überhaupt in der UdSSR. Von den Gründern ist aber kaum noch je

mand dabei. Die Musiker mußten sich mit allen möglichen Jobs über Wasser halten, und es gab Repressionen, Schwierigkeiten nach Auftritten, alle möglichen Einschränkungen.“ Leningrads Rock-Club organisiert Konzerte offizieller und nicht offizieller Gruppen, die bis vor wenigen Jahren schon durch Erhebung von Eintrittsgeldern bei Konzerten Gesetzesverstöße begingen. „Um ein Konzert zu veranstalten, muß man schon Zugang zu offiziellen Kanälen finden.“ Offiziell bedeutet in diesem Zusammenhang soviel wie staatlich genehmigt. Dima: „Also welche Texte man singen darf und daß da keine antisowjetische Propaganda drin ist“. Eine der ersten Auftrittsmöglichkeiten für nicht organisierte Berufsmusiker waren dann die „Häuser für Amateurkunst“, die Bands nach eigener Kontrolle auftreten ließen. Ohne Gagen. „Geld ist Papier“, lapidart Dima im Songtitel-Zitat und findet es eher verwunderlich, daß sich hier

jemand daran stoßen könnte, daß jeder Auktionist für die Deutschland-Tournee 700 Rubel nicht etwa bekommen, sondern selbst bezahlt hat. Das sind immerhin drei russische Monatseinkommen. Man erinnere sich verwundert, daß drei größere Unternehmen die Sowjet-Pop-Tournee offiziell gesponsort haben.

In der Sowjetunion gibt es seit Gorbatschow immerhin das System der eigenen Rechnungsführung - auch für Bands. „Inzwischen ist es so, daß wir unter Umständen mehr verdienen können, als offiziell spielende Musiker, weil wir die Verträge frei aushandeln können.“ Ein Keyboard (schlecht) kostet in der Sowjetunion übrigens 5000 Rubel, eine E-Gitare zwischen 2000 und 10000. „Wir haben auch ein sozialistisches Saxophon“, so Dima, „also ein sehr schlechtes. Unser Saxophonist hat in Deutschland alle seine Devisen für zwei Mundstücke ausgegeben.“ Leonids Gitarre dagegen ist

ein Geschenk des Hamburger „Number One„-Ladens.

Im Mai erscheint eins der beiden in der Sowjetunion per Untergrund-Kassetten-Kopie vertriebenen Alben „Komm zurück nach Sorrento“ und „Wie ich ein Verräter wurde“ bei der Hamburger Fabrik als Platte. Die staatliche Plattenfirma der UdSSR (Melodia) bringt oft lediglich fertige Aufnahmen der Bands als Platte raus. „Damit verdient Melodia Geld, aber nicht die Gruppen.“

Als musikalische Inspiration nennt Leonid romatisch entschlossen „die Liebe“. Damit hat sich das. Was sie mögen? Leonid schätzt Cure und Japan (alle Auktionisten lieben Japan), Dima die Talking Heads, irgendeiner mag arabische Musik, ein anderer Hard Rock. Anhören tun sie sich wie Palais Schaumburg und Pig Bag. Im Gegensatz zu DAF, Trio und Nina Hagen sind ihnen die aber völlig unbekannt. Alles selbst ausgedacht. Liebesgrüße aus Leningrad.

Petra Höfer