Wenn Gorbatschow scheitert

■ Nato übt bei „Wintex-Cimex“ das Scheitern der sowjetischen Reformpolitik

Berlin (taz) - Lebensmittelkarten werden ausgegeben, Schulen schnell in Hilfskrankenhäuser umgewandelt, Privatautos beschlagnahmt, Zivildienstleistende, Mediziner und Schwesternhelferinnen dienstverpflichtet, es werden Straßensperren errichtet, weil Flüchtlinge den Aufmarsch der Nato-Truppen behindern, und Bundeswehrsoldaten gegen Demonstranten eingesetzt...

Alle zwei Jahre wieder probiert die Nato, ob die Zusammenarbeit zwischen militärischen und zivilen Dienststellen im sogenanten „Verteidigungsfalle“ auch wirklich klappt. „Wintex-Cimex“ wird diese umfassende Stabsübung genannt - sie beginnt am 24. Februar und dauert zwei Wochen. Geübt wird mit viel Papier am Schreibtisch per Bildschirm und per Telefon. Mitspielen müssen auch Bedienstete in Länder- und Gemeindeverwaltungen, und das Bonner „Notparlament“ fährt in den Atombunker in die Eifel. Alle zwei Jahre entwerfen die Militärs ein anderes Krisenszenario, deren Ausgang jedoch immer derselbe ist: „Die Russen“ greifen an.

Diesmal möchte die Nato offenbar davon ausgehen, daß Gorbatschow mit seiner Reformpolitik am Widerstand der Falken gescheitert ist. Eine innenpolitische Krise, die eskaliert, und mit dem Angriff des Warschauer Paktes auf den lieben Westen endet. Datum: 1. März 1989. Dieser (kleine) Teil des geheimen „Wintex-Cimex„-Szenarios zumindest ist den Friedensgruppen bekanntgeworden, die sich Jahr zum „Koordinationskreis gegen Wintex-Cimex 89“ zusammengeschlossen haben. An mehr als hundert Orten sollen in diesem Jahr Gruppen gegen die Stabsübung protestieren, die Aktionsformen reichen von Büchertischen bis hin zu einem fünftägigen Streik von Zivildienstleistenden.

Ursel Sieber

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