HELDEN IN BEGRENZTEN RÄUMEN

■ Das Sputnik Wedding zeigt (fast) alle Filme von John Carpenter

Die Aufgabe des Filmemachers hat Howard Hawks einmal so definiert: „Meiner Meinung nach ist ein Regisseur nichts anderes als ein Geschichtenerzähler: ein Mann, der mit Kamera und Aktion eine Geschichte so gut wie möglich erzählt.“ Eine Geschichte erzählen, im Kino: da geht es um Gesten, nicht um Worte, da geht es ums Zeigen, nicht ums Erklären, da zählen Bewegungen und Rhythmus, nicht Botschaften oder Ideen. Hawks, Hitchcock, Ford und ein paar andere haben den schweren Job, einfache Geschichten in Fluß zu bringen, in Hollywood perfektioniert. Ihre Filme beeinflussen noch heute junge Regisseure, die noch gar nicht geboren waren, als „Red River“, „Notorius“ oder „Stagecoach“ gedreht wurden. John Carpenter liebt dieses Kino, auch er wollte immer nur ein Handwerker sein, kein Künstler: einer, der Filme fürs Publikum macht und nicht für die Kritiker, einer, der unterhalten will anstatt zu belehren. „Wenn ich drei Wünsche frei hätte“, sagt er, „wäre einer davon: 'Schickt mich zurück ins Studiosystem der Vierziger und laßt mich Regie führen‘.“

John Carpenter, geboren 1948, wächst auf in Bowling Green, Kentucky, einem Nest im amerikanischen mittleren Westen. Von frühester Kindheit an geht er häufig ins Kino, dreht schon als Dreikäsehoch erste 8-mm-Filme. 1968 nimmt er das Filmstudium an der University of Southern California in Los Angeles auf, dreht dort elf Studentenfilme, ehe er mit Dan O'Bannon die Arbeit am gemeinsamen Abschlußfilm beginnt: Dark Star. Die Dreharbeiten ziehen sich über fast drei Jahre hin, als der Film 1975 in die Kinos kommt, ist er jedoch - zunächst - ein Flop, Carpenter ein Regisseur ohne Namen und Geldgeber. Er reagiert, indem er sich in die Filmindustrie „hineinschreibt“: in den folgenden Jahren verfaßt er rund ein Dutzend Drehbücher, von denen aber auf Anhieb nur eines, „The Eyes of Laura Mars“, verfilmt wird, zudem in einer stark veränderten Version. Mit „Halloween“ schafft Carpenter 1978 den Durchbruch; bis 1988 dreht er insgesamt 13 Filme, davon zwei fürs Fernsehen.

Gefahr!

In allen Filmen Carpenters (mit der Ausnahme des „biocips“ „Elvis“) geht es um eine Bedrohung, die über die Figuren hereinbricht und darum,wie auf diese Bedrohung reagiert wird. Carpenters Helden sind Helden wider Willen, sie sind gezwungen, sich zu verteidigen: gegen Psychopathen (in „Halloween“ und „Someone Is Watching Me“), gegen Außerirdische (in „The Thing“ und „They Live“), gegen übermächtige Phantasiegestalten (in „The Fog“ und „Big Trouble in Little China“) oder schlicht gegen die außer Kontrolle geratene Technik (in „Dark Star“ und „Christine“). Carpenter zeigt dabei eine Vorliebe für begrenzte Welten. Meist schließt er seine Figuren auf engstem Raum in Gruppen zusammen, Charakter und Persönlichkeit, Stärke und Schwäche offenbaren sich stets im Umgang mit der Gefahr. Wer zu lange fackelt, zu viel redet oder zu ängstlich ist, kommt nur selten mit dem Leben davon, wer dagegen im richtigen Moment die richtigen Entscheidungen zu treffen bereit ist, hat eine Chance. Für Carpenter gilt, was Norbert Grob zu den Filmen Walter Hills formuliert hat: Reden ist Silber, Handeln ist Gold.

Weil sie keine andere Wahl haben, müssen Carpenters Helden über sich hinauswachsen. Dabei finden sie manchmal auch zu sich selbst zurück. In „Escape From New York“ wird Kurt Russel zu lebenslanger Haft verurteilt, doch er bekommt den Auftrag, der ihn retten könnte. Er soll den entführten Präsidenten aus dem zum Staatsgefängnis umfunktionierten Manhatten befreien. Der Lohn wäre die Freiheit, aber weil die allein nicht Reiz genug ist, wird ihm eine Zeitbombe in die Arterie injiziert. Da geht es plötzlich nicht mehr einfach ums Überleben, sondern auch ums Prinzip. Und als Russel am Ende seine Arbeit getan hat, spielt es keine Rolle mehr, ob die Welt noch zu retten ist. In „Assault on Precinct 13“ verteidigen der zum Tode verurteile Darwin Joston und der Polizist Austin Stoke gemeinsam ein Polizeirevier gegen eine anstürmende Streetgang. Abgeschnitten von der Außenwelt, ungenügend ausgerüstet und eigentlich chancenlos kämpfen sie bis zum letzten Moment. Da geht es nur ums Prinzip, kaum noch ums Überleben. In „Starman“ verhilft Karen Allen dem Außerirdischen Jeff Bridges zur Flucht vor den Behörden. Auf der Reise quer durch Amerika lernt sie ihn kennen und lieben, gemeinsam überstehen sie die gefährlichsten Situationen. Am Ende geht es nur noch ums Überleben. Und darum, wie die Frau, die sich schon aufgegeben hatte, nun doch weiterleben kann.

Die Gleitkamera

Für einen Regisseur, der das Studiosystem herbeisehnt, benötigt John Carpenter erstaunliche Freiheiten. In seinen frühen Filmen - allesamt unabhängige Produktionen fungierte er meist als Autor, Komponist, Regisseur und Cutter in Personalunion, die „kreative Kontrolle“ hat er wiederholt als Voraussetzung für den Erfolg seiner Arbeit bezeichnet. Tatsächlich haben die Bedingungen, unter denen er in den Achtzigern für die Major Companies gedreht hat, seinen Filmen geschadet. Folgerichtig ging Carpenter nach dem kommerziellen und künstlerischen Desaster von „Big Trouble...“ neue Wege, die zugleich die alten sind. Jetzt dreht er wieder Low-Budget-Filme, jetzt zeichnet er wieder für Musik, Regie und Buch verantwortlich.

Genre-Filme, Kino des physischen Ausdrucks: Carpenter ist Spezialist für Horror- und Science-Fiction-Themen. Die Genre -Regeln beherrscht er gut genug, um sie immer wieder erweitern zu können: zur Parodie auf „2001“ und die SF -Serials der fünziger Jahre in „Dark Star“, zur „Rio Bravo„ -Variation in „Assault“, zur Hitchcock-Homage in „Someone is Watching Me“. Carpenter hat in seinen Filmen ein eigenes Vokabular entwickelt, mit dem er seine Geschichten von Angst und Gewalt, von Bedrohung und Terror erzählt. Sein wichtigstes Stilprinzip ist das der extem beweglichen, ewig gleitenden Kamera. Oft agiert sie, als wäre sie Teil einer Gruppe, erkundet gleichberechtigt mit den Figuren die Räume und Schauplätze - und zieht so den Zuschauer mitten ins Geschehen hinein. Damit korrespondiert auch das Prinzip der subjektiven Kamera: Am Anfang von „Halloween“ beispielsweise steht eine sechsminütige Plansequenz, in der die Kamera den Blick eines Mörders übernimmt. Neben dem Schock, den dieses Vorgehen beim Betrachter auslöst, schafft es auch Irritationen: Wenn später wiederholt subjektive Perspektiven eingenommen werden, muß man ständig fürchten, wieder durch die Augen des Killers zu blicken. In allen Carpenter-Filmen gibt es - freilich weniger spektakuläre - subjektive Einstellungen, die uns zu einen Teil der Handlung werden lassen.

Ein weiteres Stilprinzip: immer herrscht eine klaustrophobische Atmosphäre, die durch das extrem herausgearbeitete Gegensatzpaar innen/außen erzeugt wird. Schränke, Zimmer, Häuser, Städte sind die Orte, an denen Carpenter seine Helden einschließt. Meist führt kein Weg nach draußen, zugleich droht das Eindringen der Angreifer. Carpenter komponiert seine Räume ausschließlich im Panavision-Breitwandformat, das viel Platz läßt für verschiedene Ebenen in Breite und Tiefe.

Oft bestreiten die Figuren ein Rennen gegen die Zeit. Während der Countdown läuft, müssen sie Bomben überzeugen, Orte erreichen oder verlassen oder irgendwie die Stellung halten. Carpenter liebt es, seine Geschichten in Raum und Zeit extrem zu verdichten. Die Handlung löst er dabei gewöhnlich in mehrere, manchmal schwindelerregend viele Stränge auf, die er nach Belieben zusammen- und auseinanderführt. Die Parallelmontage als Möglichkeit der Rhythmisierung: auf musikalische Weise in „Assault“, als fortwährendes Nebeneinandner in „The Fog“, als Akkumulation der Höhepunkte in „Prince of Darkness“. Die Musik verbindet, was die Schnitte trennen. Aufpeitschende Synthesizerklänge schaffen einen bedrohlichen Ton, monotone, sich unmerklich beschleunigende Rhythmen steigern die Spannung ins Unerträgliche. Carpenters beste Filme sind Lehrstücke für die Kunst des Kinos, den Zuschauer ganz mitzunehmen in eine andere Welt. Diese Welt ist düster, gefährlich, pessimistisch und auch komisch. Carpenters besten Filme sind Alpträume, aus denen man nicht erwachen möchte.

Carpenters beste Filme, auch das muß gesagt werden, liegen lange zurück. Seit dem Meisterwerk„Escape From New York“ fehlt seinen Arbeiten die funktionale Perfektion und erzählerische Brillanz der frühen Jahre. 1981 dachte man noch, er könnte der Regisseur der achtziger Jahre werden, aber was folgte, war meist nur Mittelmaß. In einer Kritik zu „The Fog“ heißt es einmal, man solle nicht jetzt schon über Carpenter urteilen, schließlich sei auch Hitchcock erst mit seinem 16.Film so richtig auf Touren gekommen. Zwar sind die Zeiten ganz anders, dennoch sollte man ein wenig Geduld haben mit John Carpenter. Sein 13. Film „They Live“, der im Mai bei uns anläuft, war endlich wieder ein Erfolg in den USA. Und das macht Hoffnung - für die neunziger Jahre.

Frank Schnelle

Die Filme von John Carpenter laufen vom 20.Februar bis zum 15.März jeweils um 22.30 Uhr im Sputnik Wedding.