„Ich lasse mich nicht zum Schweigen bringen“

■ Ingrid Strobl beendete den ersten Prozeßtag mit Ausführungen zur Geschichte und Funktion des Paragraphen 129a

„Ich habe mein Leben damit verbracht, laut zu sagen, was ich denke. Ich habe mein Leben damit verbracht, meine politische Haltung zu artikulieren in Artikeln, Büchern, Diskussionsbeiträgen. Ich bin auch jetzt nicht bereit, mir den Maulkorb umzuhängen, der unsichtbar in diesem Raum für mich ausliegt. Ich weiß, daß ich mir damit womöglich mein eigenes Grab schaufle. Ich weiß aber auch, daß innerhalb und außerhalb dieses Bunkers sehr viele Menschen sehr aufmerksam verfolgen, was hier vorgeht. Wenn man mich einzig und allein für meine politische Haltung verurteilen will, dann muß das wenigstens in aller Öffentlichkeit geschehen und begründet werden. Ich sehe daher, trotz der abenteuerlichen Anklageschrift, die wir gerade gehört haben, diesem Verfahren mit Gelassenheit und zugleich großer Spannung entgegen.“

Damit beendete die vor dem Oberlandgericht Düsseldorf Angeklagte Ingrid Strobl am 1.Prozeßtag ihre mündlichen Ausführungen zu Geschichte und Funktion des Paragraphen 129a. Ein Paragraph, der als Paragraph 129 „unter Bismarck erfunden (wurde), um die Sozialistengesetze durchzusetzen. Und er wurde fast genau 100 Jahre später von den inzwischen regierenden Sozialdemokraten um den 129a erweitert, um, wie es so schön heißt, den Terrorismus zu bekämpfen.“ Während er zunächst dazu diente, „die bewaffneten Gruppen in der BRD zu bekämpfen“, sei er „systematisch neben seinem repressiven Aspekt zu einem Ausforschungsparagraphen ausgebaut“ worden, „der sich gegen alle politischen Zusammenhänge richtet, die dem Staatsschutz nicht geheuer sind“.

Zu der Anschuldigung, als Mitglied der „Revolutionären Zellen“ einen Wecker gekauft zu haben, der bei einem Anschlag auf das Kölner Lufthansagebäude als Zündzeitverzögerer benutzt worden sei, ließ sie vom Gericht ihre 14seitige Erklärung verlesen, die sie bereits im August '88 für den Haftprüfungstermin gemacht hatte. Frau Strobl legt detailliert dar, wie sie auf Bitten eines alten Bekannten (X) einen von ihm beschriebenen Wecker gekauft habe. Fünf Monate später habe sie von einer früheren 'EMMA' -Kollegin erfahren, daß dort „eine Frau L.“ telefonisch mitgeteilt habe, daß ihr Telefon abgehört und „Gefahr im Verzuge“ sei. Als sie von Frau L. noch etwas von einem Wecker hörte, den sie für einen Anschlag gekauft haben sollte, habe sie den Rat einer Anwältin befolgt, „die Sache auf sich beruhen (zu) lassen“.

Ingrid Strobl lehnt nicht nur aus Gründen ihrer „politischen Moral“ und der Selbstachtung die Preisgabe des Namen von X ab. Angesichts der Ausforschung linker und feministischer Zusammenhänge mit Hilfe von Anschuldigungen gegen sie, würde das „nur bedeuten, noch einen Menschen dieser ziemlich brutalen Maschinerie auszuliefern, der ich unterworfen bin, und weitere Menschen (...) dem Räderwerk von Ermittlung und Erfassung, von Schnüffelei und Verdächtigungen auszusetzen“.

Gitti Hentschel