: „Ein voreiliges Menschenexperiment“
Die Hamburger Molekularbiologin Regine Kollek: „Krebs gehört zum Leben wie der Tod“ ■ I N T E R V I E W
taz: In den USA sollen zehn Krebspatienten Immunzellen gespritzt werden, die mit Genen von Bakterien versetzt sind. Ist das ein historischer Schritt und eine neue Qualität in der gentechnischen Anwendung?.
Regine Kollek: Ich glaube schon. Es ist das erste Experiment, bei dem fremde Gene in menschliche Zellen eingeführt und in den Körper zurücktransplantiert werden. Die Behauptung, dies seinichts anderes als eine Art Organ -Transplantation, bei der ja auch fremdes Zell- und Erbmaterial in den Körper gelangt, ist eine Verschleierung. Das Experiment ist technisch grundsätzlich verschieden und neu. Und man begibt sich auf jenen schlüpfrigen Abhang, der mit ziemlicher Sicherheit in die genetische Veränderung des Menschen münden wird.
Wie beurteilen Sie das Experiment in seiner immanenten Zielsetzung. Halten Sie es für sinnvoll und ethisch vertretbar?
Es ist kein therapeutisches Experiment. Hier wird lediglich eine genetische Markierung angebracht, um den Verbleib der Immunzellen im Körper zu verfolgen. Das ist ethisch fragwürdig, weil dies den schwerkranken Patienten nicht hilft. Hinzu kommt, daß man einen viralen Vektor benutzt, um das Gen einzuschleusen, sozusagen ein virales Taxi, auf dem das neue Gen sitzt. Es ist nicht geklärt, ob nicht neue Viren dabei entstehen können oder ob nicht Viren, die bereits in der Zelle sitzen, aktiviert werden. Solche Versuche sind also auch gefährlich.
Können sie nicht dennoch wichtige Erkenntnisse für die Krebsforschung liefern?
Ich habe hier nicht nur ethische Vorbehalte, sondern auch praktische. Es gab nur sehr wenige Tierversuche, um den Versuch abzusichern. Statt dessen unternimmt man ein voreiliges Menschenexperiment mit fragwürdigem Nutzen. Wenn überhaupt, sollte man hier mit einem Gen reingehen, das wirklich einen therapeutischen Effekt verspricht.
Sie lehnen solche Experimente nicht grundsätzlich ab?
Grundsätzlich stehe ich dem sehr skeptisch gegenüber, und ich glaube, daß unser ethisches Instrumentarium, mit dem solche Dinge bewertet werden, nicht ausreicht, um die neue Qualität solcher Versuche zu erfassen. Solche Experimente werden meist isoliert betrachtet, ohne einzubeziehen, auf welch gefährlichen Abhang wir damit geraten. Hier ist unsere Ethik am Ende. Wenn wir keine Strategien entwickeln, um mit solchen neuen Problemen fertig zu werden, muß die Ethik dem Fortschritt der Technik weichen.
Aber auch Sie kommen doch als Kritikerin ins Schwimmen, wenn es um mögliche Erfolge in der Krebs- oder Aidsbekämpfung geht.
Was Aids und Krebs angeht, sind die Erfolge nicht so groß, daß sie die Gentechnik in allen Bereichen legitimieren könnten. Darüber hinaus komme ich insofern nicht ins Schwimmen, weil meine Probleme mit der Gentechnik ja auch und gerade durch ihre Erfolge in bestimmten Bereichen entstehen. Und wenn wir all die Dinge erfolgreich tun können, dann ist der Weg frei, um Gene nicht nur in Körperzellen einzubauen, sondern auch in die Keimzellen. Das ist der Schritt zur Menschenzüchtung. Dann können nicht nur Gene repariert, sondern auch „wünschenswerte“ Eigenschaften eingebaut werden.
Glauben Sie, daß das erste Gen-Experiment am Menschen gewissermaßen bewußt als „Einstiegsdroge“ in der Krebsforschung durchgeführt wird, weil man hier moralisch leichter Druck machen kann?
Diese Vermutung läßt sich belegen. Schon während des Genehmigungsverfahrens wurde von den beteiligten Forschern bei der Anhörung immer wieder sehr massiv darauf hingewiesen, daß alle paar Minuten ein Krebspatient stirbt. Es wurde unterstellt, daß die Verantwortlichen sich schuldig machen am Tod vieler Menschen, wenn man solche Experimente verbietet.
Dieser moralische Druck sitzt ja auch in uns selbst. Als letztes möchte ich Ihnen dieselbe Frage stellen, die Heike Wilms-Kegel an ihre grüne Bundestagsfraktion gestellt hat: „Wollt ihr wirklich die gentechnische Entwicklung eines Impfstoffes gegen Aids verbieten?“
Verbote sind zunächst kein guter Weg, um die Problematik zu klären, die sich hinter der Herstellung eines Aids -Impfstoffes oder eines Krebs-Therapeutikums verbirgt. Aids und Krebs sind komplexe Krankheiten, die unser gesamtes Körpersystem in einer Weise beeinflussen, die wir noch lange nicht verstanden haben. Hier einseitig auf die Gentechnik zu hoffen, ist der falsche Weg. Wir müßten uns viel stärker auf präventive Strategien konzentrieren. Bei Aids kommt dazu, daß die Entwicklung eines Impfstoffes nach Aussage vieler Experten gar nicht möglich ist. Wir müssen uns auch darüber klar werden, daß bestimmte Krankheiten wie zum Beispiel Krebs so komplex sind, daß wir sie vielleicht nie unter Kontrolle bekommen und daß wir wahrscheinlich unseren ganzen Organismus verändern müßten, um sie auszurotten. Krebs gehört zum Leben wie der Tod.
Renate Kollek war Mitglied im wissenschaftlichen Stab der Enquete-Kommission Gentechnik. Sie arbeitet jetzt am Hamburger Institut für Sozialforschung über Bewertungen gentechnischer Risiken.
Interview: Manfred Kriener
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