coop: Neue Heimat für Fälscher?

Polizei in den Büros des Handelsriesen / Bilanzfälschungen und Steuerdelikte vermutet / Aktienhandel ausgesetzt  ■  Von Martin Kempe

Frankfurt/Berlin (taz) - Im Frankfurter Bürokratenviertel Niederrad, einem trostlosen Konglomerat aus Verwaltungskomplexen und Konzernzentralen, hatte die Polizei am Mittwoch Großeinsatz. Ziel der Aktion war der Firmensitz des Einzelhandelskonzerns coop, der im Verdacht steht, Schulden in Millionenhöhe wider besseres Wissen verheimlicht zu haben. 35 Beamte des Bundeskriminalamtes, 15 Finanzbeamte und fünf Staatsanwälte waren am Mittwoch im Einsatz, um im Hochhaus in Niederrad, in den Wohnungen des ehemaligen Konzernchefs Bernd Otto sowie vier weiterer früherer Spitzenmanager nach Beweisen für den Verdacht der Bilanzfälschung zu suchen. Außerdem hätten sich, so erklärte der Sprecher der Frankfurter Staatsanwaltschaft, Jochen Schroers, starke Verdachtsmomente im Zusammenhang mit Steuerdelikten ergeben. Daher die Beteiligung der Finanzbeamten. Auch Zweigniederlassungen des Konzerns in Berlin, Bochum, Münster und anderen Städten wurden am Mittwoch durchsucht.

Damit ist ein vorläufiger Höhepunkt im Skandal um die ehemals gewerkschaftseigene Einzelhandelskette erreicht, der durchaus Neue-Heimat-Format erreichen könnte. Konkret wird dem früheren Konzernmanagement vorgeworfen, interne Finanzberichte hätten die Verschuldung des Konzerns etwa sechsmal so hoch angegeben wie dann im veröffentlichten Geschäftsbericht für 1985 ausgewiesen. Seit Herbst vergangenen Jahres laufen gegen die coop Ermittlungen im Zusammenhang mit Presseberichten, wonach sich die Verschuldung des Konzerns auf insgesamt zwei bis drei Milliarden Mark belaufe, die mit Hilfe einer undurchsichtigen Konzernstruktur verschleiert wurde. Auch private Bereicherungen von Vorstandsmitgliedern, so hieß es im letzten Herbst bislang unwiderlegt, habe es gegeben. Über das Ergebnis der Durchsuchungen mochte die Staatsanwaltschaft am Donnerstag noch keine Auskünfte erteilen. Der Anfangsverdacht jedoch, so hieß es, sei gravierend.

Vernehmungen hätten ergeben, daß die einstigen Vorstandsmitglieder, an der Spitze der noch aus der gewerkschaftlichen Ära stammende Bernd Otto, schon frühzeitig über die marode Finanzsituation des Konzerns informiert gewesen seien. Der Staatsanwaltschaft nannte dabei das Jahr 1985, in dem die gewerkschaftseigene Holdinggesellschaft BGAG als größter Minderheitsgesellschafter noch 39 Prozent der Anteile gehalten hat. Zum Ende 1985 hat die BGAG dann ihre Anteile an eine BdK Beteiligungs-Verwaltungs-GmbH verkauft, hinter der als wichtigster Gesellschafter der Bund Deutscher Konsumgenossenschaften steht. Inzwischen ist der Schweizer Bankverein größter Aktionär der coop AG. Die Gesellschaft erklärte inzwischen, bei ihr sei die Staatsanwaltschaft noch nicht vorstellig geworden.

Die BGAG hatte im Jahre 1974 ihr 39-Prozent-Paket in einer Krisensituation der weitgehend selbständigen regionalen Konsumgenossenschaften übernommen und aus den traditionsbeladenen Überbleibseln der Arbeiter -Konsumbewegung einen modernen Einzelhandelskonzern geformt

-mit modernem Management und durchrationalisierten Einkaufs - und Vertriebswegen. 1985, so hieß es, sei diese Sanierungsarbeit erfolgreich abgeschlossen gewesen. Und weil die BGAG wegen der Hinterlassenschaft des Neue-Heimat -Debakels ohnehin Geld brauchte, hat man den Konzern nach und nach verkauft - offenbar, so jedenfalls der Verdacht der Staatsanwaltschaft, mit gezinkten Karten. Als dann im Herbst letzten Jahres Gerüchte über die milliardenschwere Verschuldung des Konzerns durchsickerten, setzten die Banken ein Sanierungspaket durch. Dies beinhaltete neben einer Kapitalspritze die Übereignung von 72 Prozent des coop -Kapitals an den Schweizerischen Bankverein, die niederländische Amro-Bank, die amerikanische Security Pacific National Bank und die schwedische Svenska Handelsbanken. Gleichzeitig mußten die jetzt beschuldigten Manager Bernd Otto, Werner Casper und Dieter Hoffmann ihre Sessel räumen. Der vierte verdächtigte Vorstand, Michael Werner, hatte das Unternehmen bereits Mitte 1988 verlassen. Bilanzchef Schröder-Reinke, der fünfte im Bunde, ist derzeit noch bei coop beschäftigt.

Gesucht haben die Beamten nach Angaben der Staatsanwaltschaft Geschäftunterlagen, Vorstandsbeschlüsse und Protokolle, vor allem aus der fraglichen Zeit vor und in dem Jahr 1985. „Wir sind fündig geworden, zumindest auf den ersten Blick“, sagte ein Sprecher der Staatsanwaltschaft Frankfurt. Der Schweizerische Bankverein, coop -Miteigentümer, reagierte sofort und ließ den Börsenhandel mit coop-Aktien aussetzen. Auf Bilanzfälschung steht bis zu drei Jahren Knast oder Geldstrafe.