Einbrecher oder Polizist

■ Robert Müller sprach mit Frank Beyer über dessen Film „Der Bruch“

Herr Beyer, auffällig viele Ihrer Filme entwickeln ihre Geschichten vor dem Hintergrund der letzten Kriegsmonate und der ersten Nachkriegsjahre. Auch die Handlung von 'Der Bruch‘ haben Sie in das Berlin des Jahres 1946 verlegt. Was reizt Sie besonders an der filmischen Auseinandersetzung mit dieser Phase der deutschen Geschichte?

1945 war ich dreizehn Jahre alt. Ich stand an der Schwelle zum Erwachsensein, war sehr empfindsam und nahm Eindrücke sehr intensiv auf. Vor allem daran mag es liegen, daß ich mit meinen Filmen hin und wieder in diese Zeit zurückkehre. Die Beschäftigung mit dieser geschichtlichen Phase war indes nie ein Vorsatz. Es war vielmehr meine Absicht, Gegenwartsfilme zu machen. Da ich auf diesem Gebiet manche Enttäuschung erlebte, mitunter auch keine wirklich guten Stoffe fand, habe ich immer wieder Ausflüge in die Historie unternommen.

Und weshalb die Rückdatierung der Story von 'Der Bruch‘?

Der historische Fall hat 1951 stattgefunden, als die Situation in Berlin, bedingt durch den kalten Krieg und die Existenz mehrerer Währungen bereits sehr kompliziert war. In einem Film der leichteren Gangart, wie wir ihn uns vorstellten, wäre dies nur schwer unterzubringen gewesen und wir wären dem jungen Zuschauer gegenüber in eine große Informationspflicht gekommen. So gelangten wir zu dem Entschluß, die Handlung vorzuverlegen, und stießen dabei schon sehr bald auf das Jahr 1946 - nicht irgendein Jahr vor der Währungsreform, sondern eben jenes Jahr 1, in dem die Trümmer zwar nicht mehr rauchten, aber noch da waren. Die Leute kamen alle aus einem Krieg und fingen neu an. Es war ein offenes Jahr, eine Art Stunde Null, wo jeder eine Chance hatte.

Spiegeln die Freiräume, die sich in Ihrem Film für die Figuren eröffnen, auch ihre eigene Sehnsucht nach einer Offenheit wieder, die nicht mehr existiert?

Heute sind die Strukturen in den mitteleuropäischen Ländern, sei es den kapitalistischen oder den sozialistischen, sehr ge- und verfestigt. Und damit sind auch die Lebensläufe von jungen Leute so wahnsinnig festgeschrieben. Die Sehnsucht nach Anarchie, die jeder in sich birgt, findet keinen Raum mehr. Ich selbst bin als junger Mann so ähnlich zu meinem Beruf gelangt, wie im Film Julian zur Polizei oder sein Freund Bubi zu den Einbrechern: zufällig. Aber wenn man Initiative zeigte, konnte man sich damals den Zufall nutzbar machen. Diesen Spaß an der Offenheit wollte ich in 'Der Bruch‘ deutlich werden lassen.

Nun ist 'Der Bruch‘ kein Film über das Nachkriegs-Berlin, sondern eine Gauernkomödie, die von Menschen und ihren Handlungen in einer bestimmten Zeit erzählt. Dabei gelingt es dem Film, in der Spannung von Geschichte und Kinogeschichte, Momente historischer Wahrheit durchscheinen zu lassen, die Ihren Vorsatz, eine unterhaltende Komödie vorzulegen, sprengen.

Wenn ich sagte, wir wollten einen unterhaltenden Film machen, dann ist dies nicht in dem Sinne gemeint, daß wir das Publikum von der Wirklichkeit wegführen wollten. Dabei ging es uns nicht darum, einen Film über das schwere Jahr 1946 zu machen. Diese Filme sind gemacht worden, und sie sind gut gemacht worden. Es war nicht unsere Absicht, die Zeit zu rekonstruieren: dies ist keine Aufgabe des Spielfilms. Es existiert eine Menge von Dokumentarfilmmaterial aus dem Berlin des Jahres '46, dessen Verwendung auf den ersten Blick vielleicht Authentizität verheißen hätte. Eine solche Lösung kam für uns nicht in Betracht. Ich glaube, man kann diese Zeit nur zitieren - und das muß man im Detail sehr präzise machen - aber man kann sie nicht rekonstruieren. Setzt man die Zitate genau, dann zeichnet man mit den ästhetischen Mitteln des Spielfilms auch ein aussagekräftiges Bild der Zeit. Dokumentaraufnahmen hätten das Spielfilmmaterial nur unaufhörlich denunziert. Unser Bemühen war es, mit Spielfilmmitteln Glaubwürdigkeit zu erzielen.

Meines Wissens haben Sie vor 'Der Bruch‘ nur eine einzige Komödie inszeniert: 'Karbid und Sauerampfer‘. Weshalb kehren Sie gerade jetzt zur Komödie zurück?

Ich habe eine große Liebe zu diesem leichten Genre. Allerdings findet man weniger gute Stoffe als man möchte. 'Jakob der Lügner‘ ist ein Film, den ich als Tragikomödie bezeichnen möchte. Um meinem Hang zum komischen Genre folgen zu können, bin ich immer wieder aufs Theater ausgewichen, O'Casey und Shakespeare, und vor einem Jahr habe ich sogar ein Kabarettprogramm gemacht. Was mich an der Spielfilmkomödie reizt, sind die verschiedenen Variationen des Spiels, die sie eröffnet. Bei 'Der Bruch‘ ist daraus auch ein Spiel mit den Kinokonventionen geworden.

Besonders reizvoll erscheint mir in Ihrem Film das Spiel mit Motivketten, wie den Hüten und dem Friseur.

Sicher. Ein Film braucht außer seiner eigentlichen Story, die in 'Der Bruch‘ verhältnismäßig simpel ist, ein Geflecht von Kleinsthandlungen, die ihn durchziehen müssen, wie die Muskeln das Fleisch, damit er lebendig wird.

War es für Sie auch ein besonderer Reiz, mit 'Der Bruch‘ einen Film zu inszenieren, der sich auch in ökonomischer Hinsicht den Wettbewerbsbedingungen des westlichen Marktes stellt?

Zunächst einmal schaut man auf sein eigenes Publikum. Da sich das Publikum in der DDR aber nicht so sehr von dem in der BRD unterscheidet, ist der Blick auf das eigene Publikum zugleich der Blick in die Welt hinaus. Ich glaube nicht, daß man spekulativ Filme machen kann für ein fremdes Publikum. Man kann eigentlich nur versuchen Filme zu machen, für die Leute, die man kennt, mit denen man lebt. Und wenn dies glückt, so passiert es ja hin und wieder, daß man auch bei einem anderen Publikum Erfolg hat.

Robert Müller