Zurückgezogene Freiheit

■ Zu Elsemarie Maletzkes Biographie „Das Leben der Brontes“

In Haworth, einem kleinen Ort in windzerzauster Heide im Norden England, währt ein dauernder Jahrmarkt, zu dem sich im Namen der Schwestern Bronte Jahr für Jahr Tausende von Literaturtouristen und der Geschäftssinn der Einwohner zusammenfinden. In diesem abgeschiedenen Ort schrieben Charlotte, Emily und Anne Bronte Romane, die die literarische Welt Mitte des vorigen Jahrhunderts in Aufregung versetzten. Denn ihre Heldinnen entsprachen ganz und gar nicht dem Muster viktorianischer Weiblichkeit.

Elsemarie Maletzke befreit die Schriftstellerinnen in ihrer Biographie Das Leben der Brontes von der erstickenden Vereinnahmung, die so häufig Literatur und Leben vermengt. Sie holt den Spannungsbogen für ihre Darstellung aus dem Kontrast zwischen den aufmüpfigen Romanfiguren und dem kärglichen zurückgezogenen Alltag der Autorinnen.

Arno Schmidt bezeichnete die Schriftstellerinnen achtungsvoll als „taubengraue Schwestern“. Zeitlebens blieben sie außerhalb der Familie und dem kleinen vertrauten Freundeskreis in sich gekehrt und äußerst schüchtern. Das änderte sich auch nicht, als Charlotte in London gefeiert und ihre Jane Eyre von dem berühmten, von ihr so verehrten Romanschriftsteller Thackeray bewundert wurde.

Unauffällig war ihr Lebensplan. Als Pfarrerstöchter ohne Vermögen mußten sie daran denken, selbst Geld zu verdienen. Das war zu ihrer Zeit keine erfreuliche Angelegenheit. Viel mehr als als Gouvernante die Launen von Eltern und Kindern zu ertragen und obendrein äußerst dürftig entlohnt zu werden, blieb ihnen nicht.

Trotz ihrer wenig robusten Konstitution - alle drei sind an der Schwindsucht gestorben, Anne und Emily wurden kaum 30 Jahre alt, Charlotte knapp 40 - haben sie eine ungeheure Energie und Beharrlichkeit aufgebracht, dem Gouvernantenelend zu entkommen. Die letzten familiären Finanzreserven, das Geld der Tante, wurden investiert, damit sie selbst ein kleines Pensionat führen konnten. Doch die Schülerinnen blieben aus.

Erst jetzt wurde ein außergewöhnlicher Schritt denkbar. Die Bronte-Schwestern entwickelten soviel Selbstbewußtsein, sich als Schriftstellerinnen zu versuchen. Spielerisch hatten sie in ihrer Kindheit ihre Fähigkeiten entwickelt.

Da saßen sie gemeinsam mit dem Bruder Branwell über klitzekleinen Büchern, in denen sie sich in winziger Schrift ihre phantasiereiche Angria und Gondal erschrieben. In ihnen ging es abenteuerlich, leidenschaftlich, aber auch bürgerlich-säuberlich zu. In den Szenen, die durch ihre „Scribblemania“ aufbewahrt wird, lebt die fiktive Welt ebenso wie die reale. Emily notierte: „Tabby sagt gerade: Komm Anne, pell die Kartoffeln... die Gondals erforschen das Innere von Gaaldine.“

Erst als sie durch Zufall entdeckten, daß sie alle heimlich Gedichte geschrieben hatten, wagten sie sich unter dem Schutz eines männlichen Pseudonyms auf den literarischen Markt. Die Druckkosten für den Gedichtband knappsten sie vom schmalen Budget ab. Es gab einige wohlwollende Rezensionen, zwei Exemplare wurden verkauft.

Und trotzdem saßen sie weiter in Haworth zusammen im Wohnzimmer, und jede der Schwestern schrieb an einem Roman. Sie schickten, sehr sparsam und wenig werbewirksam, das immer gleiche Paket mit ihren Romanmanuskripten nach jeder Ablehnung wieder auf den Weg; eine Verlegeradresse wurde ausgestrichen, eine andere darüber geschrieben. Während die Romane eineinhalb Jahre hin- und her durch England reisten, bis sie in den Druck gehen konnten, packten Charlotte und Anne bereits ein neues Romanprojekt an.

So beharrlich die Schwestern an einer schriftstellerischen Karriere arbeiteten, so eigensinnig und unangepaßt waren sie doch in der Gestaltung ihrer Romane. In der Abgeschiedenheit von Haworth, die auch eine Distanz zur männlich bestimmten Literaturwelt bedeutete, fanden sie die Freiheit, sich von ihren eigenen Erfahrungen leiten zu lassen - und das macht ihren dauerhaften Erfolg aus. Sie haben Heldinnen entworfen, jede auf ihre Weise, die die tradierten Frauenbilder weit hinter sich lassen, die ihren Anspruch auf eigene Lebensgestaltung selbstbewußt durchsetzen.

Die Selbständigkeit der „Jane Eyre“ war für das prüde viktorianische England zwar etwas „shocking“, verlieh der abenteuerlichen Handlung aber auch unterwartete Spannungsmomente. Der Roman wurde zum Bestseller. Noch unkonventioneller waren die Romane ihrer Schwestern. Anne, „dear gentle Anne“, wie Charlotte sie zu bezeichnen pflegte, erzählt in Der Pächter von Wildfell Hall von einer Frau, die ihren Ehemann verläßt. Sie beschreibt Szenen einer unerträglich werdenden Ehe mit unterbittlicher Deutlichkeit. Emily, die eigensinnigste der Schwestern, scherte sich wenig um gesellschaftliche Konventionen. In Sturmhöhe entwickelt sie eindrucksvolle Bilder einer amoralischen Leidenschaft.

Elsemarie Maletzke berichtet über Das Leben der Brontes, der Schwestern und ihrer Familie, auf eine Weise, die für Kenner und Neuanfänger in Sachen Bronte zur Lesefreude wird. Unprätentios ist die Sprache, detailscharf die Darstellung. Es macht die Qualität dieser Biographie aus, daß immer auch der Bezug auf die Quellen und die dadurch gegebene Begrenzung der Darstellung gegenwärtig ist. Der reflektierte Umgang mit den Quellen schafft notwendige Distanz, die Biographin bleibt sich - trotz aller Nähe zu den Lebensläufen - ihres beschränkten Zugriffs bewußt.

Gesine Herzog

Elsemarie Maletzke Das Leben der Brontes, Frankfurter Verlagsanstalt, 416 Seiten, 39,80 DM.

Außerdem ist bereits 1986 von Elsemarie Maletzke der Band Die Schwestern Bronte im Insel Verlag erschienen, der Bilder zu Leben und Werk mit knappen Erläuterungen enthält.