Elegant an der Öffentlichkeit vorbei

Die nordrhein-westfälische Landesregierung hat den Betreibern des Kohlekraftwerks Ibbenbüren ein weiteres Jahr Schonfrist für die Entstickung eingeräumt / Grenzwerte dürfen um das Dreifache überschritten werden / Opposition fühlt sich hintergangen  ■  Aus Düsseldorf J.Nitschmann

Als die Betreiber des umstrittenen Steinkohlekraftwerks Ibbenbüren dem 'Welt'-Redakteur Dankwart Guratsch signalisiert hatten, die von ihm geplante Besichtigung der dort vor wenigen Wochen eingebauten Entstickungsanlage sei „gegenwärtig nicht erwünscht“, wurde der Springer-Mann mißtrauisch. Bei seinen anschließenden Recherchen fand er den Grund heraus: Er stieß auf eine neuerliche Ausnahmeregelung für das 770-Megawatt-Kohlekraftwerk, die von den Betreibern, offenbar aber auch von den verantwortlichen Landespolitikern, nur allzu gerne geheim gehalten worden wäre: Selbst nach dem wegen technischer Schwierigkeiten immer wieder verschobenen Einbau des Entstickungskatalysators darf das Kraftwerk immer noch das Dreifache der zulässigen Grenzwerte für Stickoxide (NOx) in die Luft blasen. NRW-Umweltminister Matthiesen (SPD) mußte am Freitag einräumen, daß er für das Kraftwerk auf Antrag der Betreiber RWE und Preussag eine zwölfmonatige „Optimierungsphase“ genehmigt habe, wonach der ursprünglich vereinbarte Grenzwert von 200 Milligramm NOx pro Kubikmeter bis zum Dreifachen überschritten werden darf. Von der Öffentlichkeit unbemerkt war diese „Optimierungsphase“ am 1.Dezember vergangenen Jahres, fünf Tage nach dem Einbau des Katalysators, in Kraft getreten.

Kritik an seiner umstrittenen Entscheidung wies Matthiesen brüsk als „doppelzüngig und unseriös“ zurück. Statt dessen sang er in einer Pressemitteilung das hohe Lied auf die „große Kraftanstrengung des Anlagenbauers und Betreibers“ bei der besonders schwierigen Entstickung der in Ibbenbüren verbrannten niederflüchtigen Kohle, die „unmittelbar vor einem erfolgreichen Abschluß“ stehe. Schon heute würden bei Vollastbetrieb „Tagesmittelwerte“ von 250 mg/m3 erreicht.

Von der kurz bevorstehenden Entstickung der Ibbenbürener Giftschleuder war in der Vergangenheit immer wieder die Rede. Ursprünglich hatte das Kohlekraftwerk bereits Ende 1987/Anfang 1988 voll entstickt sein sollen. Dies immerhin hatte Ministerpräsident Rau (SPD) persönlich am 4.Dezember 1985 mit den Betreibern ausgehandelt, nachdem ihm die eigenen Genossen aufs Dach gestiegen waren.

In einem unserer Zeitung vorliegenden Vermerk des damaligen Chefs der Düsseldorfer Staatskanzlei, Klaus Dieter Leister, vom 10Dezember 1985 heißt es zu dem Ergebnis dieser Verhandlungen: „Bei den NOx-Emissionen ist die Situation zwar schwieriger, da es für Schmelzkammerfeuerungen noch keine großtechnisch einsetzbaren Entwicklungsanlagen gibt, die notwendig wären, um die durch die Umweltministerkonferenz vom 5.April 1984 vorgegebenen NOx -Grenzwerte von 200 mg/m3 zu erreichen. Gleichwohl haben die Kraftwerksbetreiber in dem Gespräch mit dem Ministerpräsidenten am 4.Dezember 1985 verbindlich zugesagt, sich intensiv zu bemühen, den Zeitpunkt des Einbaus der Entstickungsanlage vorzuziehen, von geplant Ende 1988/Anfang 1989 auf Ende 1987/Anfang 1988.“

Der umweltpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Volker Hauff, nahm diese Vereinbarung für bare Münze: „Wir werden darauf bestehen, daß das Wort von Ministerpräsident Rau eingehalten wird, daß es bei den Fristen und Zahlen bleibt. Nach 1988 muß Ibbenbüren voll entstickt sein. Das ist die Geschäftsgrundlage für die Inbetriebnahme“, sagte Hauff am 5.Dezember 1985 vor dem Deutschen Bundestag. An diese „Geschäftsgrundlage“ haben sich weder die Betreiber noch die Landesregierung gehalten. Statt dessen erhielten RWE und Preussag immer neue Ausnahmegenehmigungen.

Im Oktober 1986 mußten die Ibbenbüren-Betreiber schließlich öffentlich eingestehen, daß zeitlich abgestufte Stickoxid -Minderung nach dem derzeitigen Stand der Technik überhaupt nicht realisierbar sei. Renommierte Kraftwerkstechniker hatten von vornherein Bedenken gegen solche „politischen Terminvorgaben“ geäußert: Schließlich sei das vorgesehene japanische Katalysatorenpatent für die dortigen Verbrennungsverfahren noch völlig unerprobt.

Schon deshalb ist zweifelhaft, ob der am 25.November vergangenen Jahres endlich in Probebetrieb genommene Entstickungskatalysator tatsächlich wirkungsvoll arbeitet und den Stickoxid-Ausstoß auf die vorgeschriebenen Grenzwerte abbauen kann. Die Geheimnistuerei um die neuerliche Ausnahmegenehmigung Matthiesens wirft eine Reihe von Fragen auf: Wie zuverlässig arbeitet der Entstickungskatalysator, für den die Betreiber eine immerhin zwölfmonatige Anpassungsphase mit einem außergewöhnlich hohen Optimierungswert beantragen müssen, der den zulässigen Grenzwert gleich um das Dreifache übersteigt? Warum geben die Betreiber und das Düsseldorfer Umweltministerium über den derzeitigen Stickoxid-Ausstoß in Ibbenbüren lediglich sogenannte „Tagesmittelwerte“ bekannt, verschweigen aber schamvoll die für die Belastung der Bevölkerung viel relevanteren Höchstwerte? Und weshalb sind weder die Betreiber noch das zuständige Ministerium in der Lage, den Stickoxid-Ausstoß für die Jahre 1986, 1987 und 1988 exakt zu beziffern?

Die Düsseldorfer Landtagsopposition von CDU und FDP fühlt sich nun hinters Licht geführt. Sprecher beider Fraktionen verlangten am Wochenende die umgehende Einberufung des Umweltausschusses im NRW-Landtag, der über die „Optimierungsphase“ für das Kohlekraftwerk im Münsterland überhaupt nicht informiert worden sei.

Die NRW-Grünen verlangten am Wochenende eine „vorübergehende Stillegung“ des umstrittenen Kohlemeilers, der erst dann wieder in Betrieb gehen dürfe, wenn die geforderten Grenzwerte eingehalten würden. Während dieser Zeit müsse die Förderung im Ibbenbürener Kohlerevier gedrosselt werden. Die Kosten für die anfallenden Feierschichten müsse die Düsseldorfer Landesregierung tragen.