Der „Große Maghreb“ läßt der Polisario keine Chance

Die Annäherung zwischen Algerien und Marokko geht auf Kosten der Saharuis / Zwar können die 180.000 Flüchtlinge in Algerien bald in die West-Sahara zurückkehren, aber ihre Chancen auf einen unabhängigen Staat schwinden / Per Referendum will sich König Hassan das mineralreiche Land einverleiben  ■  Von Thomas Hartmann

Am Donnerstag letzter Woche fehlte einer beim Gruppenfoto der Maghreb-Staatschefs in Marrakesch, der gerne dabei gewesen wäre: Mohamed Abdelaziz, der Präsident der „Demokratischen Arabischen Republik“ (DARS), die 1976 von den saharuischen Flüchtlingen beziehungsweise ihrer Befreiungsbewegung Polisario im algerischen Exil ausgerufen worden war. Denn die Annäherung der beiden Maghreb-Riesen Algerien und Marokko war im letzten Jahr nur möglich, weil es gelang, den Zankapfel Westsahara unter den Teppich zu kehren. Die wirtschaftlichen und die daraus folgenden innenpolitischen Schwierigkeiten beider großen Maghreb -Länder dienten als Besen.

Der Präsident der algerischen Liga für Menschenrechte, Miloud Brahimi, brachte letzte Woche eine in seinem Land weit verbereitete Haltung sehr deutlich in einem Zeitungsinterview zum Ausdruck: „Lange habe ich an die arabische Einheit geglaubt und bin gerade heute zutiefst von der Zusammengehörigkeit der Maghreb-Länder überzeugt. Daher liegt mit die Existenz eines Ministaates nicht am Herzen. Ich wünsche mir, daß dieses Problem so schnell wie möglich geregelt wird, damit man endlich die wichtigen Probleme anpacken kann.“

Und selbstverständlich haben die 180.000 saharuischen Flüchtlinge, die seit 14 Jahren unter schwierigsten Bedingungen in vier Zeltstädten in der Wüste Algeriens 40 Kilometer von der Grenze zur Westsahara entfernt leben, keinerlei Chance, alleine ihre Hoffnungen auf einen eigenen, unabhängigen Staat durchzusetzen. Die maximal 10.000 Kämpfer reichen gerade aus, um der Armee des Königs Respekt abzuverlangen. Sie ist gezwungen, 120.000 Mann der Langeweile in der Wüste auszuliefern, wo die Soldaten zur Bewachung einer Steinmauer, gespickt mit modernster Elektronik stationiert werden.

Gleichzeitig sind die Flüchtlinge in den Zeltlagern bei ihrer Lebensmittelversorgung völlig von dem guten Willen Algeriens oder europäischen Solidaritätskomitees abhängig.

Referendum unter UNO-Aufsicht

Noch ist der Konflikt nicht endgültig und formal beigelegt und sicher sind im Detail noch verschiedene Perspektiven möglich, aber die Linien sind gezogen: Ein Referendum unter der Aufsicht der UNO unter allen Saharuis, die mit großer Sicherheit für einen Anschluß an Marokko votieren werden. Zu viele Millionen hat der König in den letzten Jahren in den Aufbau seiner südlichsten Provinz gesteckt, als daß es ihm die saharuischen Clanchefs nicht danken würden. Außerdem hat die Polisario in den Lagern die alte Ordnung aus den Angeln gehoben: Die Jugend hat das Wort, nicht die Alten; modern ausgebildete Spezialisten und vor allem die Frauen bestimmen das Leben in den Lagern. Wenn sie in die Städte der Westsahara zurückkehren, werden einige Turbulenzen nicht zu vermeiden sein, aber sich von ihnen regieren zu lassen nein danke. Die Clanchefs der Westsahara haben sich mit dem König arrangiert, der eine im Detail noch auszuhandelnde Autonomieregelung angeboten hat - „nach dem Modell der deutschen Bundesländer“.

Das Referendum ist wichtig, um dieser Lösung eine internationale und demokratische Legitimation zu geben. Dies ermöglicht es, der Polisario und insbesondere auch Algerien, eine Souveränität Marokkos über die Westsahara bei entsprechendem Votum akzeptieren zu können. König Hassan II. weiß, daß dies entscheidend ist. Schließlich hat Algerien sein ganzes diplomatisches Gewicht zur Unterstützung der Polisario und ihres Kampfes eingesetzt, mit einigem Erfolg überdies. Selbstverständlich kann es die Polisario nicht einfach fallen lassen.

So hat der König seinerseits eine Konzession gemacht, die der Polisario Entgegenkommen und eine gewisse Anerkennung zollt: Anfang Januar empfing er zum ersten Mal seit Ausbruch des Krieges in seinem Palast in Marrakesch Vertreter der Befreiungsbewegung. Sie hatte immer direkte Verhandlungen gefordert, er dies immer abgelehnt. Doch die protokollarischen Akzente wurden sehr präzise gesetzt: Der König verstand das Treffen nicht als Verhandlung, sondern als Gespräch. Er empfing die Saharuis als „Landeskinder, die aus der Bahn geworfen waren und sich in einer Befreiungsbewegung engagiert hatten, nun aber zu ihrem Vater zurückkehren wollen“. Auch wenn zur Delegation der amtierende Ministerpräsident der DARS gehörte - als solcher wurde er gerade nicht empfangen.

Einseitiger Waffenstillstand der Polisario

Der König habe, so kolportierten die Medien, vor allem zwei Dinge wissen wollen. Erstens: wie die Polisario im Falle eines Sieges beim Referendum diejenigen behandeln wolle, die gegen sie gestimmt haben? Zweitens: wie sie sich im Falle einer Niederlage ihre Rückkehr und Integration in eine marokkanische Westsahara vorstelle?

Als Antwort erklärte die Polisario Anfang Februar einen einseitigen Waffenstillstand. Der zweite Mann, der bei dem Treffen mit dem König dabei war, äußerte sich anerkennend über „Seine Majestät König Hassan II., der ein sehr gebildeter und politisch realistischer Mann“ sei und kündigte ein zweites Treffen noch vor dem Maghreb-Gipfel an, der aber nicht zustande kam. Die Polisario sei bereit, noch vor dem Referendum, ein Abkommen mit dem König abzuschließen, ohne daß auf das Votum verzichtet werden solle. Gleichzeitig beanspruchte die Polisario, auf dem Gipfel vertreten zu sein - allerdings verbunden mit der Konzession, daß „man über den konkreten Status ja noch reden“ könne. An diesem Punkt blieb Hassan II. jedoch hart. Den ersten Maghreb-Gipfel letzten Juni in Algier hätte er beinahe zum Platzen gebracht, als DARS-Präsident Abdelaziz auf einem Empfang des algerischen Staatschefs aufgetaucht war. Von dieser Position kann Hassan, der nach dem Treffen mit der Polisario erst die Kritiker beruhigen mußte, auch innenpolitisch nicht abrücken: In Marokko wird die Westsahara-Frage ganz einmütig als eine - selbstverständlich legitime - Wiederherstellung der vollständigen Unabhängigkeit ganz Marokkos angesehen. Der König betont schon seit Jahren, daß es ihm ausschließlich auf die Souveränität ankomme, „auf die Flagge und die Briefmarke“. Alles andere sei zweitrangig. Hier liegt die Verhandlungsmasse, um die sich alle diplomatischen Manöver jetzt drehen.

Der König hat übrigens Erfahrung mit der Rolle des vergebenden Landesvaters: Ende der siebziger Jahre stellte die marxistische „Bewegung des 23.März“ nach langen Geheimverhandlungen ihre militärischen Untergrundaktivitäten ein und gründete eine Partei, die linksradikale OADP. Bei ihrer ersten Kandidatur zu den Parlamentswahlen erhielt sie einen Abgeordneten, bei der nächsten keinen mehr.