Erste Zeugenaussagen im Prozeß gegen Ingrid Strobl

Zwei Beamte vom Bundeskriminalamt lassen Vorurteile und Widersprüche erkennen / Aus verfälschten Informationen werden Verdachtsmomente konstruiert  ■  Aus Düsseldorf Gitti Hentschel

Wie die „Karikatur eines BKA-Beamten - so die treffende Bezeichnung einer Prozeßbeobachterin - wirkte der erste Zeuge im Prozeß gegen die 36jährige Journalistin Ingrid Strobl. Der 47jährige Kriminalhauptkommissar Walter Meyer, der am Dienstag vor dem Düsseldorfer Oberlandesgericht auftrat, arbeitet in einer Sonderkommission des Bundeskriminalamtes. Die Kommission ermittelt bei Anschlägen der „Revolutionären Zellen“ (RZ) oder der „Roten Zora“ und führte auch die Untersuchung zum Anschlag auf das Verwaltungsgebäude der Lufthansa in Köln im Oktober 1986. Laut Anklage soll die engagierte Journalistin und Feministin Strobl als Mitglied der Revolutionärenen Zellen einen Wecker gekauft haben, der dabei als Zündzeitverzögerer benutzt wurde.

Mit monotoner Stimme, wie auswendig gelernt, beschrieb der Beamte, wie das BKA in jahrelanger Kleinarbeit versucht hat, über „Tatmittel“ - wie Sprengstoff oder Zündzeitverzögerer Zusammenhänge zwischen etwa 200 Anschlägen herauszufinden, zu denen sich die RZ oder die Rote Zora meistens bekannt hätten.

Schließlich, so Meyer, erkannten die Ermittler, daß seit 1981 bei 36 Anschlägen der gleiche Wecker vom Hersteller Emes Sonochron als Zündzeitverzögerer benutzt worden war, und planten „eine Falle“: Das BKA kaufte die Wecker beim Hersteller auf und gab sie, mit Nummern präpariert, an Geschäfte weiter, um dann den Weg „bis zum Endverbraucher“ zu verfolgen. Ein so präparierter Wecker sei beim Lufthansaanschlag verwendet, die Käuferin in einem Kölner Geschäft mit Video aufgenommen worden. Nur durch Zufall sei die Käuferin dann als Ingrid Strobl identifiziert worden: Bei einer Fernsehsendung zu „10 Jahre 'Emma'“ habe er „die von uns mühsam gesuchte Weckerkäuferin“ entdeckt. Fassungslos habe er damals darauf reagiert, daß die „hier im Fernsehen öffentlich auftritt“. Ingrid Strobl wurde monatelang überwacht, ihr Telefon abgehört in der Hoffnung, so die RZ aufrollen zu können.

Bei einer Großrazzia des BKA am 19.12.1987 fanden die Beamten - so der Ermittler - bei der Durchsuchung ihrer Wohnung das Protokoll einer 'Emma'-Redakteurin über Telefonanrufe einer Frau L. in der Redaktion. Frau L., die mit einem Beamten der „Politischen Polizei“ zusammenlebte, habe die frühere 'Emma'-Redakteurin Strobl warnen wollen und über die Observation berichtet. Daß die Beamten trotz monatelanger Überwachung nichts Verdächtiges gegen Ingrid Strobl fanden, interpretiert Meyer so, daß sie angesichts dieses „Verrats nichts finden konnten“.

Bei der Befragung durch die AnwältInnen wird der Beamte unsicher und fahrig. Vorurteile und Widersprüche werden deutlich. Zum Beispiel steht für ihn einerseits fest, daß nur Mitglieder der RZ „Tatmittel“ beschaffen. Andererseits zeigte er sich in einem Aktenvermerk vom Juli 1987 unsicher, ob die promovierte Journalistin „Mitglied“ oder „nur“ „Unterstützerin“ der RZ sei. Drei Monate später macht er sie in einem weiteren Aktenvermerk zum „Mitglied, wenn nicht gar zur Rädelsführerin“ der RZ. Neue, belastende Erkenntnisse, gibt er zu, waren keine hinzugekommen. Seine Erklärung laut Vermerk: Ingrid Strobl hatte „enge Kontakte“ zu Personen, die sich intensiv mit Flüchtlings- und Asylproblemen befaßten - eine „Thematik“, zu der der Beamte seit 1984 zwölf Anschläge auflistete.

Das simple Weltbild im BKA

Sehr einfach auch das Weltbild seines Kollegen Klaus Breßler, eines jung-dynamischen BKA-Hauptkommissars Anfang 30, der als zweiter Zeuge gehört wurde. Für ihn war bereits verdächtig, daß Ingrid Strobl in ihrer Wiener Studienzeit einen der Entführer des österreichischen Industriellen Palmer im Gefängnis besuchte und in einer Vereinigung „Unabhängiger Frauen“ als Schriftführerin politisch aktiv war.

Der Beamte, der Anschläge der RZ und Roten Zora im Raum Köln aufgelistet hatte, führte beispielhaft vor, wie aus verfälschten Informationen und unwahren Behauptungen Verdachtsmomente gegen Ingrid Strobl konstruiert wurden. So erschien für ihn „extrem auffällig“, daß nach der Verhaftung der Journalistin RZ und Rote Zora keine Aktivitäten mehr im Raum Köln entfaltet hätten. Eine Behauptung, die er auf Befragung von Verteidiger Hartmut Wächtler als falsch zurücknehmen mußte. Noch im August 1987 hatte es in Neuß einen Anschlag auf die Firma Adler gegeben.

Als glatte Lüge erwies sich die Schlußfolgerung des Beamten aus einem abgehörten Telefongespräch zwischen Ingrid Strobl und dem damaligen taz-Redakteur Oliver Tolmein über einen Artikel von Strobl zu Simone de Beauvoir. Der Beamte, der extrem begriffsstutzig wirkte und bei der Befragung ständig passen mußte, hatte aus diesem Gespräch fabuliert, Ingrid Strobl befasse sich mit der Folterpraxis in Chile. (Tatsächlich ging es in dem Gespräch um Beauvoirs Einstellung zur Todesstrafe.) Seine Schlußfolgerung daraus in einem Vermerk an die Bundesanwaltschaft niedergelegt: Es sei davon auszugehen, daß die RZ in diesem Bereich - zur Folterpraxis in Chile - Anschläge vorbereite.

Am dritten, wie auch gestern am vierten Verhandlungstag fand das Verfahren unter dem Vorsitz eines erklärtermaßen „unbefangenen“ Richters Arend statt. Der fünfte Beschlußsenat des OLGs Düsseldorf hatte den Befangenheitsantrag gegen Arend, den Ingrid Strobl und ihre Verteidigung vom ersten Tag an gestellt hatten, als „unbegründet“ zurückgewiesen.