Affäre Coop: Fast ein Toter

Gewerkschaftsboß und Coop-Vizechef versucht Selbstmord / Coop mit 4,3 Milliarden Schulden  ■  Von Wolfgang Gast

Berlin (taz/dpa/ap) - Mit einem Selbstmordversuch des Vorsitzenden der Gewerkschaft Nahrung-Genuß-Gaststätten (NGG), Günter Döding, hat die Affäre um den Einzelhandelskonzern „Coop“ einen neuen Höhepunkt erreicht. Döring ist auch stellvertretender Aufsichtsratvorsitzender des angeschlagenen Handelsriesen. Als Motiv für den versuchten Selbstmord nannte gestern ein Gewerkschaftssprecher die am Wochenende erhoben Vorwürfe gegen den 58jährigen NGG-Chef, der seit 1978 an der Spitze der 258.000 Mitglieder starken Organisiation steht. Neuen Berichten zufolge beträgt die Verschuldung des Lebensmittelskonzerns insgesamt 4,3 Milliarden Mark. Allein für den Schuldendienst im Jahr 1988 muß der im Dezember neu eingesetzte Aufsichtsrat 560 Millionen Mark aufwenden. Entsprechende Berichte des 'Stern‘ bestätigte gestern Coop -Sprecher Armin Peter.

Der 'Spiegel‘ hatte in seiner letzten Ausgabe berichtet, daß Döding enge Beziehungen zum früheren Coop-Vorsitzenden Bernd Otto gepflegt hatte. Gegen Otto und weitere ehemalige Aufsichtsratsmitglieder des „systematisch auf Verwirrung angelegten Konzerngeflechtes“ ('Spiegel‘) ermittelt inzwischen die Staatsanwaltschaft. Döding soll mehrfach von Otto Geschenke erhalten haben und sich ausgedehnte Auslandsreisen Fortsetzung auf Seite 2

„alle erster Klasse“ - spendiert haben lassen. In einem im 'Spiegel‘ abgedruckten Brief, datiert auf den 12.November, hat sich der NGG-Chef auch „recht herzlich“ bedankt - für „diverse Geschenke“ und „im voraus“ für die Hilfe bei einer geplanten Brasilienreise.

Bereits am Sonntag soll sich Döding in seinem Büro in der Gewerkschaftszentrale in Hamburg die Pulsadern aufgeschnitten haben. Nach etwa zwei Stunden sei er blutüberströmt aufgefunden und sofort in ein Krankenhaus gebracht worden. Döding schwebt nach den Worten des Sprechers gestern nicht mehr in Lebensgefahr und soll sich auf dem Wege der Besserung befinden.

Der frühere erste Mann der Coop, Otto, soll sich unterdessen nach Südafrika abgesetzt haben. Die Frankfurter Staatsanwaltschft ermittelt gegen die im Dezember gefeuerten Vorstandsmitglieder Otto, Werner Casper und Dieter Hoffmann sowie den Generalbevollmächtigten Schröder-Reinke wegen Bilanzfälschung, Kreditbetrug und Steuerhinterziehung. Otto wird auch vorgeworfen, sich persönlich am Coop-Konzern bereichert zu haben.

Am Freitag soll über ein neues Sanierungskonzept für den hochverschuldeten Konzern in Frankfurt beraten werden. Die vier ausländischen Eigentümerbanken unter der Führung des „Schweizer Bankenve

reins“ wollen die mehr als 100 Kreditinstitute zu einem Stillhalteabkommen bis Ende 1992 mit Zinsverzicht bewegen. Wegen der Details des Sanierungskonzeptes werden noch heftige Konflikte erwartet. Die NGG rief auf, alles zu tun, um Coop und seine rund 50.000 Arbeitsplätze zu erhalten.

Eine Sitzung des Coop-Aufsichtsrates ist für den komenden Montag anberaumt worden. Sollte es dem früheren Bundeswirtschaftsminister Hans Friedrichs, der im Dezember als Troubleshooter zum Coop-Aufsichtsratschef bestellt wurde, nicht gelingen, den Gläubigern weitere finanzielle Opfern abzuringen, scheint ein Konkurs unausweichlich.