General Aoun: „Ich bin die Macht“

Der Chef der Militärregierung in Ost-Beirut erklärt sein hartes Vorgehen mit einem geplanten Staatsstreich der Christen-Miliz „Libanesische Streitkräfte“ / Entmachtung der Miliz angekündigt  ■  Aus Beirut Petra Groll

Seit Anfang der Woche gibt es in Ost-Beirut keinen Herrscher mehr neben General Michel Aoun. „Ich bin die Macht“, antwortete der Chef der christlichen Militärregierung der verdutzten Presse auf die Frage nach seinen Ambitionen für das Amt des Präsidenten und fügte hinzu: „Ich bin viel stärker als ein Präsident.“ Seine militärische Macht hatte er bei den ebenso überraschenden wie heftigen Kämpfen zwischen der regulären Armee und der christlich -maronitischen Einheitsmiliz „Libanesische Streitkräfte“ (FL) des Samir Geagea demonstriert, die in nur zwei Tagen 80 Tote und 200 Verletzte forderten.

Aoun erklärte das unerwartet harte Eingreifen der Armee damit, daß die FL einen Staatsstreich im Sinne gehabt hätten. Eine ihrer Spezialeinheiten habe seine Villa im Nobel- und Diplomatenvorort Rabieh angegriffen und versucht, ihn und seine Familie auszulöschen, berichtete Aoun und wollte kaum aufhören, sich über den Anführer des FL -Kommandos zu mokieren, einen nach dem beliebten australischen Filmmacho „Mad Max“ gerufenen Milizionär.

„Puren Wahnsinn“ konstatierte schließlich auch FL-Chef Geagea: „Eine vernünftige Erklärung für die Ereignisse gibt es nicht.“ Die Truppen der FL stünden ganz zur Disposition des Generals, und „wenn Aoun gefragt hätte, dann wären die Milizionäre umgehend und freiwillig abgezogen“, heuchelte der sichtlich gestreßte Absteiger.

Die Lage ist ernst für den Milizchef, der sich nach der Ermordung seines legendären Vorgängers Beschir Gemayel 1982 in blutigen Machtkämpfen innerhalb der Miliz an die Spitze setzte. General Aoun hat sein Ziel, die restlose Entmachtung der Miliz, unmißverständlich klargemacht. Gestern erklärte sich die Miliz bereit, das von ihr kontrol lierte fünfte Becken des Beiruter Hafens - wichtig für die Steuereintreibung und Finanzierung der Streitkräfte - der Armee zu übergeben. Außerdem wollte sie alle Milizionäre zurückziehen, die die Übergänge des christlich kontrollierten Gebiets zum Rest des Landes kontrollieren.

Trotz dieser „Geste des guten Willens“ (ein FL-Sprecher) beherrschten waffenstarrende Militärs und Angst auch eine Woche nach dem Ende der Kämpfe die fast ausschließlich christlichen Bewohner Ost-Beiruts. Wer nichts Dringendes zu erledigen hat, bleibt lieber zu Hause. Wo sonst nervtötende lärmende Blechmassen sich schrittweise vorwärtskämpfen, kam der Autofahrer diese Woche zügig voran. Überall wurden Trümmer beseitigt.

„Kämpfe wird es wohlmöglich nicht mehr geben, die Miliz ist schließlich weg“, kommentierte ein Mann, der sich jede Namensnennung ausdrücklich verbat und darauf bestand, daß auch der Standort seines Zeitungs- und Tabakkiosks nicht erwäht wird: „Ob es uns jetzt besser gehen wird, steht noch dahin.“ Immerhin konnte er am Dienstag dieser Woche erstmals einige von acht Zeitschriften der moslemischen Opposition über den Ladentisch reichen, die fast zwei Jahre lang in Ost -Beirut verboten und am „Museumsübergang“ zwischen Ost- und ihrem Druckort West-Beirut von Milizionären der FL abgefangen und beschlagnahmt worden waren. Die unerwartete Lockerung der Pressebeschränkungen geht auf Aoun zurück, der sich mit einer Reihe von Maßnahmen das Wohlwollen der Öffentlichkeit verschaffen will.

Vorläufig bestaunen nicht nur Aouns politische Gegner die Kompromißlosigkeit des Artilleriespezialisten und frühreren Generalstabschefs. Der General, seit vergangenem September auch Chef der umstrittenen Übergangsregierung, spekuliert darauf, künftig nicht nur Regierungschef im Osten zu sein, sondern Staatspräsident des ganzen Landes zu werden.