Kröte oder Kompromiß

Zum Stand der Verhandlungen zwischen SPD und AL  ■ K O M M E N T A R E

Zweimal schon war die rot-grüne Perspektive in Gefahr. Einmal wurde von einem Mitglied der AL -Verhandlungskommission die Art der Berlinzulage in Frage gestellt; das andere Mal erklärten zwei Mitglieder ihren Dissens zum Konsens hinsichtlich der „Essentials“. Die SPD reagierte hart, ohne die Brücken abzubrechen. Die AL korrigierte bemerkenswert unaufgeregt und konsequent diese Ausrutscher. Mit dem überwältigenden Ja der AL -Delegiertenkonferenz sind die rot-grünen Verhandlungen auf den Schienen. Die AL, früher immer gut fürs Linksamtliche, hat einen Schnellkurs in Sachen Realismus gemacht: sie „klammert aus“ und „schluckt Kröten“, sie definiert „Schnittmengen“. Signalisiert die AL mit dieser Politikersprache, daß sie die rot-grüne Koalitionsfrage ernst nimmt? Fragt sich nur, warum sie die eigene Kompromißfähigkeit mit rüdem Vokabular entwerten? Sind die unausgesprochenen Vorbehalte innerhalb der Partei doch größer?

Beide Parteien müssen wahrnehmen, daß weit mehr auf den Spiel steht, als das Verspielen einer rot-grünen „Jahrhundertchance“. Es steht das bislang Erreichte, ein Wandel der politischen Kultur in Berlin auf dem Spiel. Die SPD hat eine Vorleistung erbracht, die man der Partei nicht so ohne weiteres zutrauen mochte: sie macht ausdrücklich das Schicksal der Verhandlungen abhängig vom Votum der Basisdemokratie der AL. Für die SPD ist die Alternative Liste eine Struktur der Unzuverlässigkeit, eine Provokation für die ganze sozialdemokratische Tradition der Parteidisziplin.

In Berlin wird einer großen Koalition keine Chance mehr gegeben. Die größten Gegner von Rot-Grün plädieren für Rot -Grün als kurzem reinigenden Fieber. Laßt die rot-grüne Koalition zu und schnell scheitern, dann ist sie auch bei der Bundestagswahl gescheitert. Richtig. Und wenn sie nicht scheitert, gibt es für den Bund zum ersten Mal eine klare Perspektive für den Regierungswechsel.

Klaus Hartung