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Die Angst der US-Army vor den Grünen

US-Army ließ Dossier über das grüne Mitglied in der Parlamentarischen Kontrollkommission (PKK) der Bremer Bürgerschaft anfertigen /Zivilangestellter weigerte sich, den Grünen auszuspionieren und wurde gefeuert  ■  Von Klaus-Peter Klingelschmitt

Frankfurt (taz) - Dem Lieutnant Colonel Sam Sherill, Offizier der 7.US-SUPCOM-Versorgungseinheit in der Reichelkaserne im nordrhein-westfälischen Rheinberg, klopfte das Herz heftig. Am Diensttelefon meldete sich eines Tages im März 1988 nämlich einer der „Unbestechlichen“ bei Sherill und übertrug ihm eine „geheime Kommandosache“: Sherill sollte für das Headquarter in Heidelberg ein Dossier über den grünen Politiker Martin Thomas, der als Abgeordneter in der Bremer Bürgerschaft Ende '87 Mitglied in der Parlamentarischen Kontrollkommission (PKK) des Bundeslandes geworden war, anfertigen.

„Entdeckt“ hatte das grüne Sicherheitsrisiko in der PKK eine in unregelmäßigen Abständen im Ruhrgebiet tagende „Nato -Kommission für besondere Vorfälle“, die sich aus Offizieren der Armeen der Nato-Mitgliedsstaaten zusammensetzt und deren „Nordkonferenz“ im Februar '88 tagte.

Daß ausgerechnet der kleine Lieutnant von der unbedeutenden US-Versorgungseinheit in Rheinberg mit der Dossiererstellung über Thomas beauftragt wurde, hatte seinen Army-internen Grund: Die relative Nähe des Standortes Rheinberg zum Observationsfeld Bremen sollte das Ausspionieren der „Greens“ erleichtern.

Dazu kam, daß der sich in Rheinberg langweilende Versorgungsoffizier Sherill einen Mann an der Hand hatte, der mit den Problemen bei den „Germans“ bestens vertraut war und ist: den deutsch sprechenden Zivilangestellten Andrew Harold, der in den fünfziger Jahren von der Bundesrepublik in die USA ausgewandert war und dort bei der Army Arbeit fand.

Doch Herold spuckte seinem Vorgesetzten in die trübe Suppe. Mit den Worten: „Das gehört nicht zu den Aufgaben einer Versorgungseinheit“, lehnte es der knapp 50jährige Harold ab, der Army das gewünschte Dossier anzufertigen.

Kündigung als Racheakt

Doch das ließ sich die US-Army von dem eingebürgerten Deutschen nicht bieten. Nur wenige Wochen später flatterte Harold die Kündigung auf den Tisch. Bugetkürzungen aus Washington hätten die Army angeblich gezwungen, beim Zivilpersonal Stellen zu streichen. Doch Harold war der einzige Zivilangestellte in Rheinberg, der seinen Hut nehmen mußte.

In Heidelberg erklärte der jetzt als Tourist in Dossenheim lebende Deutsch-Amerikaner der taz, daß er gegen die Entlassung aus der Army mit einem Memorandum an eine Armee -Schiedsstelle vorgegangen sei, „denn die Kündigung war ein reiner Racheakt“. Während eines dreitägigen Hearings in der Rheinberger Kaserne, zu dem ein Verwaltungsrichter aus Washington angereist war, sei dann bestätigt worden, was Harold noch in Rheinberg selbst miterlebt hatte: Das Dossier über den Grünen wurde von einem anderen Mitarbeiter der Army dennoch angefertigt. Ein Urteil im „Fall Harold“ steht noch aus.

In dem Dossier über Thomas äußert der Observant die Befürchtung, daß die Grünen über Thomas „Einblick in die staatlich observierte Terrorszene“ bekommen und über extremistische Treffen und Aktionen informiert würden. Weiter heißt es, daß die Grünen ihre Erkenntnisse aus der PKK „politisch ausschlachten“ und darauf drängen könnten, „daß Maßnahmen gegen Rechtsextremisten verschärft werden müßten“. Darüber hinaus stehe zu befürchten, daß die Grünen mit ihrer konsequenten „anti-amerikanischen Einstellung“ versuchen würden, die deutsch-amerikanische Freundschaft zu torpedieren.

Bespitzelung „eigentlich

unamerikanisch“

Für den entlassenen Harold ist die Bespitzelung des Grünen „eigentlich unamerikanisch“ und „unvereinbar mit der amerikanischen Verfassung“. Entsprechend unwirsch reagierte Pressesprecher Lutz vom US-Hauptquartier in Heidelberg, als die mit Harold befreundeten Journalistinnen Cornelia Girnd und Margarete Hasel dort vorsprachen. Es gebe keine Dossiers über Politiker, meinte Lutz, und ein Mitarbeiter, der dies anordne, wäre schneller in die USA zurückbeordert, als seine Familie sich das träumen lasse. Lutz: „Die Vorstellung, die US-Regierung oder die US-Army würde einen Mitarbeiter anweisen, einen gewählten Volksvertreter eines souveränen Staates zu durchleuchten, ist unerhört!“ Zum konkreten Fall des Zivilangestellten Harold mochte sich Lutz allerdings nicht äußern, denn auch die Army greife nicht in ein schwebendes Gerichtsverfahren ein.

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