„Ihr Problem ist der fehlende Glaube an Gott“

Ayatollah Khomeini schrieb an Parteichef Gorbatschow / Wir dokumentieren auszugsweise das Schreiben vom vergangenen Herbst / Den inhaltlich noch nicht bekannten Antwortbrief überreichte Außenminister Schewardnadse am Wochenende in Teheran an Khomeini persönlich  ■ D O K U M E N T A T I O N

Seine Exzellenz, Herr Gorbatschow, Vorsitzender des Politbüros der UdSSR, mit den besten Wünschen an Sie und die Nation der Sowjetunion,

Da sich seine Exzellenz nach ihrer Amtsübernahme in einer Position der Analyse der politischen Entwicklung der Welt und besonders der Sowjetunion befindet, die ein Neubeginn einer Periode der Revision, Entwicklung und Begegnung ist; und da Ihr Mut neue Entwicklungen und Veränderungen im gegenwärtigen Gleichgewicht der Welt verursachen kann, halte ich es für notwendig, einige Punkte anzusprechen.

Obwohl Ihre neue Art des Denkens und der Entscheidungen vielleicht einzig und allein darauf ausgerichtet ist, die gegenwärtigen Probleme Ihrer Partei und als nächstes bestimmte Probleme Ihres Volkes zu lösen, wird Ihre Tapferkeit bei der Revision einer Ideenschule, die lange Jahre lang die revolutionären Kinder der Welt hinter Gitter gesteckt hat, geschätzt.

Wenn Sie über die Interessen Ihrer Partei hinaus denken würden, ist das erste Problem, das revidiert werden muß, sicherlich die Propagierung des Atheismus und die Verneinung Gottes durch Ihre Vorgänger, was dem sowjetischen Volkskörper den stärksten Schlag versetzt hat; Sie sollten wissen, daß eine realistische Annäherung an die Tatsachen überall auf der Welt ohne eine solche Revision nicht möglich ist. (...)

Wenn Sie nur versuchen sollten, die Schwachstellen der kommunistischen Ökonomie und des Marxismus mit einem Rückgriff auf den westlichen Kapitalismus zu beseitigen, werden Sie nicht in der Lage sein, irgendein Problem zu lösen, sondern andere würden kommen und nur neue Fehler machen; dies deshalb, weil heute sowohl der Marxismus und sein ökonomisches und soziales System in einer Sackgasse steckt als auch der Westen mit den gleichen Problemen und auch anderen behaftet ist.

Wir müssen den Tatsachen in die Augen sehen. Die Fragen des Eigentums, der Wirtschaft und der Freiheit sind nicht die wichtigsten Probleme in Ihrem Land. Ihr Problem ist der fehlende Glaube an Gott. Das ist das gleiche Problem, das auch den Westen in eine Sackgasse geführt hat oder führen wird. Ihr Problem ist ihre nutzlose, endlose Kampagne gegen Gott und die Quelle des Daseins und der Schöpfung. (...)

Heute gibt es auf der Welt keinen Marxismus mehr, und wir möchten ernsthaft, daß Sie nicht in die Falle des westlichen Gefängnisses und des Großen Satans (die USA, d.Red.) geraten, während Sie die Mauern des Marxismus brechen. Ich hoffe, Ihnen wird die Ehre zuteil werden, die letzten Schichten von siebzig Jahren Fehlern des Kommunismus im Angesicht der Geschichte und Ihres Landes zu reinigen. (...)

Alle Vertreter des reinen mohammedanischen Islams sind in Tränen der Freude ausgebrochen, als sie nach siebzig Jahren den Ruf Allahu Akbar von den Minaretten der Moscheen in einigen Ihrer Republiken hörten. Daher halte ich es für notwendig, Sie noch einmal auf die beiden Weltanschauungen Materialismus und Theismus aufmerksam zu machen. Die Materialisten haben die „Wissenschaft“ zum Maß ihrer Sichtweise der Welt auserkoren und negieren alles, was nicht wahrnehmbar ist, weil sie glauben, daß alles Nicht -Materielle inexistent ist. Sie glauben, daß es sich bei der anderen Welt, bei Gott, dem Prophetentum und dem jüngsten Gericht um Märchen handelt. Demgegenüber sind die Meßlatte des Theismus die Sinne, und die Weisheit und alles, was einsichtig und logisch ist, ist wissenschaftlich, auch wenn es nicht wahrzunehmen ist.

Der große Koran weist die materialistische Denkweise zurück und beweist in seinen Versen, daß Gott existiert.

Abgesehen von dem Thema des Prophetentums, der göttlichen Eingebung und des jüngsten Gerichts, was ein Anfang für Ihre Debatte darstellt, hatte ich eigentlich nicht vor, Sie in das Labyrinth der Philosophie, speziell der islamischen Philosophie, einzuführen. Einige Beispiele des Denkens und Wissens, die für Politiker von Nutzen sein können, genügen. (...) Falls Seine Exzellenz an weitergehender Forschung auf diesem Gebiet interessiert sein sollte, könnten Sie Ihre Humanwissenschaftler um eine Referenz auf westliche Philosophie und gleichzeitig die Werke von Avicenna, Faraabi über die Ursprünge des Seins ersuchen. (...).

Nachdem ich nun diese Themen erwähnt habe, möchte ich, daß Sie den Islam ernsthaft studieren.

Mit der relativen Glaubensfreiheit in den sowjetischen Republiken haben sie gezeigt, daß Sie nicht mehr der Auffassung sind, die Religion sei ein Opium für die Gesellschaft. Im ernst: Ist eine Religion, die Iran in der Realität so stark gegen die Supermächte gemacht hat, ein Opium? Ja, die Religion, die zugelassen hat, daß der Wohlstand und die Bevölkerung in islamischen Ländern den Supermächten und anderen Mächten ausgeliefert sind, die rufen, Religion sei von der Politik getrennt, ist Opium, aber solch eine Religion ist keine wahre mehr. Es ist eher eine Religion, wie sie von unseren Leuten als „amerikanische Religion“ bezeichnet wird.

Zum Schluß erkläre ich in aller Offenheit, daß die Islamische Republik Iran als die große und stärkste Plattform in der Welt des Islams leicht die Lücke des Glaubens in Ihrem System füllen kann und unser Land wie in der Vergangenheit an gutnachbarliche Beziehungen und gegenseitige Achtung glaubt.

Ayatollah Seyyed Ruhollah Khomeini, Führer der Revolution und der Islamischen Republik, Imam der Shiiten der Welt und Retter der Erniedrigten auf Erden