Nun brütet auch das BKA über „Barschel-Brief“

Zehn Monate nach Beginn der staatsanwaltlichen Ermittlungen zum angeblichen Drohbrief Barschels an Stoltenberg ist das Bundeskriminalamt offiziell eingeschaltet worden / Vorher hatte das Amt dem Finanzminister die Verteidigungslinie geflüstert  ■  Von Petra Bornhöft

Berlin (taz) - Der Leiter der kriminaltechnischen Abteilung beim Bundeskriminalamt (BKA), Dr.Wolfgang Steinke, hat viel zu tun und noch mehr Ärger am Hals. „Da hat mich dieser Vogel wegen Beleidigung angezeigt, das mußte doch nicht sein, oder? Vor lauter Verfahren gegen mich komme ich kaum noch zu meiner Arbeit“, schimpft Steinke. Jener „Vogel“ ist Textgutachter Dr.Raimund Drommel, dessen Analyse zum vermeintlichen Drohbrief Uwe Barschels an Finanzminister Stoltenberg im Herbst letzten Jahres für Furore sorgte. Drommel war zu dem Ergebnis gekommen, daß Barschel „sprachlich der Urheber des Briefes ist“, in dem Stoltenberg als Chef der Nord-CDU der Mitwisserschaft an den politischen Machenschaften Barschels bezichtigt wird.

Zwar hat die seit nunmehr zehn Monaten ermittelnde Kieler Staatsanwaltschaft bis heute keinen Beweis für eine eventuelle Fälschung vorgelegt. Doch BKA-Steinke glaubt felsenfest: „Dr.Drommel hat ein falsches Gutachten vorgelegt“, und fügt zwei Sätze später hinzu: „Vor windigen Gutachtern muß man Unschuldige schützen.“

Steinkes Urteil über den Sprachwissenschaftler, der seit Jahren das BKA kritisiert, steht schon länger fest. Unmittelbar nach der Veröffentlichung des „Barschel-Briefes“ durch das Fernsehmagazin „Panorama“ und die taz besprach Steinke am 19. und 21.Oktober 1988 die fatale Lage mit dem persönlichen Referenten von Stoltenberg, Herrn Jansen. Der ließ sich über die Verteidigungslinie instruieren und notierte in einem der taz vorliegenden Gesprächsvermerk: „Herr Drommel ist dem BKA gut bekannt. Seine Arbeit bewertet das Amt überaus negativ: Wir halten nichts von ihm (...) Nach Aussage von Herrn Dr.Steinke sei der Panorama-Redaktion klar gewesen, daß es sich bei Drommel um einen 'windigen Gutachter‘ handelt“.

Gewappnet mit den Erkenntnissen des BKA attackierte der Vorsitzende der Nord-CDU, Stoltenberg, am nächsten Tag den NDR. Dabei konnte er sich auch auf ein Interview der Nachrichtenagentur 'Reuter‘ mit Steinke berufen, in dem dieser sich beeilte, die „Skepsis des BKA“ an dem Drommel -Gutachten mit scharfen Worten zu bekräftigen.

Seine damaligen Beweggründe schilderte Steinke kürzlich der Münchener Anwaltskanzlei Bossi, die gegen den quirligen Beamten mittlerweile Strafanzeige wegen Beleidigung von Drommel gestellt hat. Er habe, so Steinke schriftlich, „im konkreten Fall beabsichtigt, Herrn Dr.Drommel als Fehlgutachter zu entlarven, was inzwischen durch ein anderes kriminaltechnisches Gutachten feststeht“.

Abgesehen von der sprachlichen Glanzleistung ist der Inhalt dieser Äußerung bemerkenswert. Denn die Kieler Staatsanwaltschaft bestätigt zwar die Existenz eines kriminaltechnischen Gutachtens. Aber dabei handelt es sich ausdrücklich nicht um die sprachwissenschaftliche Textanalyse, für die das BKA Mitte Januar den Auftrag erhielt.

Über den Inhalt des fertigen Gutachtens schweigen BKA und Staatsanwaltschaft. Im Normalfall enthalten derartige kriminaltechnische Expertisen Informationen über Fingerabdrücke, Schrifttypen, Papier usw. Nach Ansicht von Fachleuten machen solche Untersuchungen nur Sinn, wenn ein Original des inspizierten Schreibens vorliegt. Der Barschel -Brief indes existiert - soweit bekannt - nur in Kopien.

Auf die Textanalyse, die einen Vergleich zum Befund von Drommel ermöglichen könnte, wartet die Kieler Staatsanwaltschaft mit wachsender Ungeduld. Ihr Arbeitstempo hat sich nach mehreren öffentlichen und parlamentarischen Angriffen deutlich gesteigert. Zunächst mußte die Absicht des Leitenden Oberstaatsanwaltes Lothar von Raab-Straube, ein Gutachten zu dem Brief erstellen zu lassen, drei Monate gedanklich reifen, bis die Behörde zur Tat schritt. Dann konnte es plötzlich nicht schnell genug gehen. Per Eilboten forderte die Staatsanwaltschaft Drommels Unterlagen an vermutlich, um sie postwendend an das BKA weiterzuleiten. Nach monatelangem Desinteresse an dem Erstgutachten fiel die Staatsanwaltschaft jetzt aus allen Wolken, daß Drommel nicht etwa nur „ein Wochenende“ an Barschel-Brief und Vergleichstexten gesessen hat, wie das BKA behauptet, sondern bereits am 8.August 1988 Auftrag und Material von Freya Barschel erhielt.

So hat sich die Behörde in eine peinliche Situation manövriert und fürchtet nun, daß durch jedwede Veröffentlichungen „Unruhe in die Szene kommt“, wie es heißt. Mit hörbarer Qual in der Stimme erklärt ein Sprecher gegenüber der taz: „Wir hoffen, daß wir vor Ostern mit der Sache durch sind.“ Bis dahin hüllt Kiel sich auch in eisiges Schweigen über angebliche Hinweise von Zeugen auf den behaupteten Eingang des Barschel-Briefes in der CDU -Geschäftsstelle, die zum Jahresende einigen Mitarbeitern gekündigt hat.

Gelassenheit demonstriert unterdessen BKA-Steinke wegen der Beleidigungsanzeige. Er habe Drommel, wenn überhaupt, dann in einem behördeninternen Gespräch mit dem Referenten des Ministers beleidigt. Darf man das? „Ja, so ist die Rechtsprechung“, lautet die siegessichere Antwort des Mannes aus Wiesbaden.