Hunderte von Totenin Venezuela

■ Plünderungen als Antwort auf Preiserhöhungen bei GrundnahrungsmittelnPolizei schoß in die Menge: Allein in der Hauptstadt Caracas mindestens 80 Tote / Ausnahmezustand, Razzien und PressezensurPräsident Peres hält an Sparprogramm fest

Caracas (taz/afp) - In Venezuela hat der Volksaufstand gegen die Preiserhöhungen und Versorgungsengpässe vermutlich zu Hunderten von Toten und Verletzten geführt. Allein in der Hauptstadt Caracas waren bis Dienstag nacht nach Angaben der Polizei mehr als 80 Menschen bei den blutigen Unruhen umgekommen und 800 verletzt worden. Mehr als 1.000 Personen wurden verhaftet.

Nach der Polizeibilanz sind in Caracas mehr als 3.000 Geschäfte geplündert worden, darunter viele Supermärkte und Bäckereien. Zuvor waren von den Fabriken die Mehl- und Brotpreise willkürlich um bis zu 300 Prozent erhöht worden. Auch andere Grundnahrungsmittel waren nur sehr teuer oder überhaupt nicht zu kaufen. Zucker, Reis, Maismehl und Kaffee fehlte in vielen Familien seit Wochen. In Caracas wurde auch eine Bank geplündert, das gesamte Mobilar einschließlich Computern und Akten davongetragen.

Auch in der Nacht auf Mittwoch hielten die Schießereien in Caracas im ganzen Stadtgebiet an. Militärs und die Polizeitruppe Guardia Nacional durchkämmten vor allem die Armenviertel. Das ausgerufene Notstandsgesetz ermöglichte beliebige Festnahmen.

An den Plünderungen, die auch gestern noch vereinzelt anhielten, haben sich nach Augenzeugenberichten auch reichere Bevölkerungsschichten beteiligt. Gutgekleidete Damen griffen selbst zu oder schickten ihre Hausmädchen, um die Vorräte zu sichern.

Die Wut der Bevölkerung richtete sich aber auch gegen die Verkehrsbetriebe, die ihre Preise drastisch erhöht hatten. Zahlreiche Busse wurden zertrümmert.

Staaspräsident Carlos Andres Perez hatte in einer

Rundfunkansprache am Dienstag mittag den Ausnahmezustand

verkündet, mit dem die Versammlungs-, Demonstrations- und

Meinungsfreiheit sowie die Unverletzlichkeit der Wohnung bis auf weiteres außer Kraft gesetzt und Verhaftungen ohne

richterliche Anordnung zugelassen sind. Perez betonte, er

werde allen Widerständen zum Trotz an dem bei seinem

Amtsantritt am 2.Februar angekündigten Sparprogramm

festhalten, über das eine venezolanische Delegation am

Montag und Dienstag mit dem Internationalen Währungsfonds

verhandelt hat. Perez widersprach dem Fortsetzung Seite 2

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Vorwurf der Opposition, er habe sich dem Währungsfonds „in die Arme geworfen“.

Nicht nur die Hauptstadt Caracas bot am Mittwoch ein Bild der Verwüstung. Auch aus anderen Städten wurden brennende Barrikaden, Plünderungen und Straßenschlachten gemeldet. In Carora, 300 Kilometer westlich von Caracas, nahm eine aufgebrachte Menge bei einem Überfall auf eine Polizeiwache den Befehlshaber gefangen. Die Demonstranten plünderten am Dienstag zahlreiche Privatwohnungen, nachdem Läden und Supermärkte bereits am Vortag geleert waren. Die Polizei, die anfangs mit Tränengas und Gummischrot gegen die Protestierer vorgegangen war, schoß am Montag abend und Dienstag scharf in die Menge.

Am Mittwoch waren die Unruhen in den meisten Städten etwas abgeflaut, allerdings blieb die Lage chaotisch und der Ausnahmezustand in Kraft.

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