Höher hören, meine Hören und Daumen

■ Ein Rezitationsabend. Dieter Hufschmidt liest, spricht, singt, summt, spielt Ernst Jandl im Theater am Leibnitzplatz - und am 14. April um 22.10 Uhr über Radio Bremen II

Langsam füllt sich der Saal im Theater am Leibnitzplatz. Die völlig schwarze Bühne ist schwach beleuchtet. Darauf ein Kaffeehaustisch, ein Klavier. Zwischen Tisch und Klavier: Dieter Hufschmidt, mit weißer Kreide auf dem schwarzen Boden kritzelnd. Die Bühne ist fast schon völlig mit weißen kreidezeichen überzogen, mäandernd kreis-und spiralförmig. Und als er auf-und dasteht in einem zu kurzen, zu engen schwarzen Konfirmationsanzug, sieht man, daß er bis zu den Schuhen grau ist vor lauter Kreidestaub. So wie wir bald bestreut sein werden mit Lauten, Klängen, Wörtern, mit ver -rückten Bedeutungen, Gefügen, Gedanken...

Es wird gleich beginnen. Es beginnt gleich. Es hat begonnen. Zeit-Spiele. Was ist, ist nicht faßbar. Sprachspiele. Die Sprache verschiebt sich minimal und kichert. Höher hören. Höher hören, meine Hören. Meine Hören und Daumen, höher hören. Loch. Loch doch. So loch doch. Üch loch müch kronk. Erst bemerken wir nicht, daß das Wort verrutscht. Loch, denken wir, aha.

Sogar Arschloch, endet das Gedicht davor doch mit A... A...loch. Und wir lachen. Dann die Aufforderung, der wir bereits nachgekommen sind: So loch doch. Üch loch müch kronk. Aber Hufschmidt lacht nicht, sich schon gar nicht krank. Ganz ernst steht er da, Ernst Jandl, vor allem bei heiteren Sachen.

Warum aber lachen wir? Die Überraschung reizt uns, natürlich, das plötzliche Erkennen des Spiels. Aber darunter schimmert eine längst vergrabene Schicht durch, die Erinnerung an die Zeit, als wir mit Lauten, Wörtern, Sprache selbst noch spielten, als das Erfinden und Verschieben von Sprache noch großen und oft auch unheimlichen Spaß machte, weil uns die Wörter auch verängstigten. „bist eulen / ja / bin eulen / ja ja / sehr eulen // ...// will aber nicht mehr eulen sein / bin schon zu lang eulen gewesen // ...“

Jandls Sprachverschiebungen bringen aber mehr zum Vorschein als Verspieltes, Witziges. Oft ist einem nicht mehr zum Lachen. Es ist wie in Andersens Märchen: plötzlich stehn uns die Verhältnisse nackt vor Augen,

die historischen (wien: heldenplatz, schtzngrmm) und die alltäglichen. Und da hüpft die Sprache nicht mehr von einem Vokal zum anderen, sie entgleist, zieht sich zurück in den Infinitiv, schutzlos, unfähig zu spielen. Die Gedichte verlieren ihren Charme, werden aggressiv. Die Sprache beißt zu, beißt sich selbst.

„von frauen. / nichts können sein besseren einen mann denn onaniste, der lassen / allein denen frauen ihneren stinkenen futten, der lassen ihn / ihneren emanzipationen, ihneren rühren-nicht-an-mich brusten; der ihneren brauchen keinen einfüllen einen brut, denen der frauen / dann rausscheißen in geburten und sich ankleben mann seinen lebenlang / und der roboten für frauen und brut und hören ihnen schreienen: nix / gut du nix gut, und immer dann trockenwischen er den geschwollenen / blauenroten wangen an denn heuligen, denen außen posaunenen / daß es sein einen rechtenlosen verquäligsten unterdrückenen / bis pressen er sein lippen auf den hand denen sauen.“

Christine Spiess