„Rushdie ist eine Gefahr für unsere Gesellschaft“

Ein Gespräch mit Sheikh Mohammed Hussein Fadlallah, dem geistigen Führer der Hizbollah im Libanon  ■ I N T E R V I E W

Sheikh Mohammed Hussein Fadlallah gilt als geistiger Führer der libanesischen Schiitenpartei Hizballah. Die pro -iranische Organisation hatte kürzlich erklärt, sie sei bereit, Khomeinis Mordbefehl gegen den Schriftsteller Rushdie auszuführen.

taz: Aus der Rushdie-Affäre ist eine internationale Krise geworden. Handelt es sich nun um ein religiöses, kulturelles oder politische Problem?

Fadlallah: Anfangs war es kein politisches Problem, es gab vereinzelte Proteste, Protest einzelner Personen. Es wurde eine politische Affäre, jedenfalls in den Augen der Europäer, als Imam Khomeini eingriff. Die Europäer stellten sich umgehend auf die Seite Großbritanniens. Sie verstanden die Fatwa (die Mordandrohung Khomeinis, d.Red.) als Angriff auf Meinungsfreiheit und einen britischen Staatsbürger. Ihre Reaktion zeugt von Vorurteilen, ist keineswegs objektiv. Auf europäischer Ebene wurde die Affäre so gemanagt, daß die moslemische Welt verstehen mußte: die Europäer stehen nicht nur hinter Rushdie, sondern auch hinter den Inhalten seines Buches. Das Problem ist die unterschiedliche Konzeption von Menschenrechten in der islamischen und in der westlichen Welt.

Rechtfertigt diese Affäre bislang mehr als 20 tote Moslems? Ist der Abbruch diplomatischer und wirtschaftlicher Beziehungen angemessen?

Die westlichen Staaten, so versessen, Menschenrechte zu verteidigen, sollten bei den Regierungen Indiens und Pakistans Protest anmelden. Die nicht anders auf Protest und Demonstrationen antworten können. Der Abbruch der Beziehungen war eine Initiative des Westens, allen voran der BRD. Fragen Sie die BRD, ob die Affäre Rushdie es wert ist, die überaus privilegierten Wirtschaftsbeziehungen einzufrieren.

Flügelkämpfen in der islamischen Republik, zwischen den Radikalen, die die Revolution über den Staat stellen, und moderaten Pragmatikern, wird bedeutender Einfluß auf Khomeinis Entscheidung zugeschrieben. Zu dieser Zeit hielten Sie sich in Iran auf.

Imam Khomeini steht über diesen Flügeln und ist kein Teil des Konfliktes. Seine Fatwa kann keinesfalls als Versuch gewertet werden, der Revolution besonderen Sonderrang vor dem Staat zu verschaffen. Die westlichen Staaten haben die offenen Türen des Iran wieder geschlossen. Sie hätten anders reagieren, zum Beispiel den diplomatischen Weg einschlagen können, auf dem schon viele Probleme gelöst wurden. Doch haben sie emotional reagiert und sind verantwortlich, wenn jetzt der prorevolutionäre Flügel in Iran von der Affäre Rushdie profitiert.

Westliche Demokratien verteidigen das Recht auf Meinungsfreiheit wie die islamische Welt den heiligen Koran. Handelt es sich womöglich um gleichwertige Prinzipien in den jeweiligen Gesellschaften?

Absolute Freiheit gibt es nicht. Die des Individuums hört bei der Freiheit der Nation auf, auch im Islam gibt es Meinungsfreiheit, auf der Basis eines rationalen Dialogs. Aber kann sich ein Mann die Freiheit nehmen, heilige Konzeptionen, die für Hunderte von Millionen Moslems existentielle Bedeutung haben, auf so irrationale und blasphemische Weise anzugreifen? Wir haben das Recht, seine Freiheit einzufrieren und unseren Glauben zu verteidigen. Der Westen unterbindet andere Affären, zum Beispiel antijüdische Nazipropaganda, denn Nazismus stellt eine Gefahr dar. Rushdie ist eine Gefahr für unsere Gesellschaft.

Reaktionen der moslemischen Welt werden mit der Inquisition des europäischen Mittelalters verglichen.

Die westlichen Medien versuchen, die Angelegenheit auf emotionale Weise zu provozieren. Ein Buch, das verboten und verbrannt gehört, wird vorher gewissenhaft studiert. Wenn der Inhalt die islamische Welt verletzt, dann müssen wir es verbieten. Zu einer ernsthaften Diskussion unserer Glaubensangelegenheit sind wir allerdings bereit, solange sie auf rationaler und objektiver Ebene geführt wird.

Wie stellen Sie sich einen fruchtbaren Dialog vor?

Ich glaube nicht, daß es Konditionen gibt. Klar ist natürlich, daß die Attacken gegen Islam und Moslems gestoppt werden müssen. Moslemische Intellektuelle müssen den Dialog mit der westlichen Öffentlichkeit aufnehmen, in Universitäten, Publikationen, auf wissenschaftlicher Ebene. Westliche Medien müssen entsprehend Platz einräumen, um ihrer Öffentlichkeit die andere Seite der Medaille vorzuführen.

Wie kann ausgerechnet die kommunistische Sowjetunion in dieser Affäre vermitteln?

Natürlich ist die Sowjetunion ein atheistischer Staat. Doch wurde der Konflikt objektiv verstanden. Aus dieser Situation versucht die Sowjetunion natürlich politischen Profit zu schlagen.

Nach dem Waffenstillstand im Golfkrieg stiegen die Hoffnungen auf Freilassung der westlichen Geiseln in Libanon. Wie weiter nach der Rushdie-Affäre?

Ich verfüge nicht über den entsprechenden Hintergrund, doch denke ich, es ist offensichtlich, das die Geiselaffäre komplizierter wird, wenn die internationalen Beziehungen komplizierter werden, und die Geiselaffäre entspannt sich, sobald die Beziehungen sich wieder entspannen.

Interview: Petra Groll, Beirut