Polizei ermittelt illegal

■ Anklage im Silvester-Prozeß gerät zunehmend in die Defensive / Am zweiten Verhandlungstag standen die Vernehmungspraktiken im Mittelpunkt

Die Demontage des Penny-Marktes in der Silvesternacht 87/88 steht am zweiten Verhandlungstag im Amtsgericht nicht mehr zur Debatte. Selbst die angeblichen Rechtsbrüche des Beklagten traten in den Hintergrund. Zur Diskussion stand gestern allein das Ermittlungsverfahren.

Es war schon eine erstaunliche Wende, die der Polit -Staatsanwalt Hans-Georg von Bock und Polach sicher nicht erwartet

hatte. Am Anfang des Prozesses gegen Nils N. stand der Vorwurf des schweren Landfriedensbruches. Doch dann verlagerte sich die Beweisaufnahme auf eine weit zurückliegende Protestaktion gegen die DVU, bei der der Beschuldigte als Reifenstecher in Aktion getreten sein soll.

Drei Polizisten waren gestern als Zeugen zweifelsfrei sicher, in Nils N. den Mann wiederzuerkennen, der für die Fahruntaug

lichkeit des DVU-Busses verantwortlich war. Der erste versicherte, er könne sich genau an die „stechende Bewegung“ erinnern, der zweite an das „typische Gesicht“ und den „markanten Unterkiefer“, der dritte an die „unheimliche Zahnlücke“.

Dieser dritte Beamte war es auch, der schon am Abend nach der Aktion auf die Beschreibung der beiden anderen Beamten hin gemutmaßt hatte: „Das könnte der N. gewesen sein.“ Und der Beamte war es auch, der die beiden als Zeugen zu den Geschehnissen dieses Tages befragte. Dabei präsentierte er ihnen eine Lichtbilderkartei, in der die Polizeifotos nach Alter und Vergehen der Abgebildeten gesammelt sind. Er zeigte ihnen zusätzlich eine Lichtbildermappe, in der neben anderen auch verschiedene Bilder des Beschuldigten abgeheftet waren.

Gegen die Verwendung einer solchen Mappe protestierte Anwalt Wesemann. Denn Nils N.

war zu den Bildern unter Gewaltandrohung gezwungen worden. Aber Staatsanwalt von Bock wies darauf hin, was zur „Vorbereitung einer Identifizierungsmaßnahme“ alles zulässig sei: Bart abnehmen oder Ankleben, Perücke tragen lassen, zu anderer Kleidung zwingen und etliches mehr. Es sei legitim, jemanden die „Tarnkappe“ abzunehmen.

Was allerdings nicht rechtmäßig sein kann, ergab sich wenig später: Die Bilder von Nils N. in der Mappe waren zum Teil namentlich gekennzeichnet. Praktisch bedeutete das: Da sein Name schon vorab gefallen war, brauchten die Zeugen nur Bilder und Beschriftung abzugleichen, um zu einer zweifelsfreien Identifizierung zu kommen.

Für Rechtsanwalt Wesemann steht dem Beschuldigten damit ein Freispruch ins Haus. Der Staatsanwalt scheint anderer Meinung zu sein. Sein Plädoyer wird zeigen, wie er die staatlichen Rechtsbrüche wertet.

fwg