AUFKLÄRUNG AUF FRANZÖSISCH

■ Endspurt in der Reihe „Geographie Musicale“

Mit einem trocken geschmetterten „Ti Amo“, einer Bearbeitung des Welterfolgs von Howard Carpendale, endeten am Freitag abend gegen 23.30 Uhr die musikalischen Feierlichkeiten zum 200.Geburtstag der Französischen Revolution. Zumindest, was die Konzertreihe „Geographie Musicale“ anbelangt, in der moderne, „Neue Musik“ aus Frankreich vorgestellt werden sollte.

Das „Ti Amo“ von Pascal Comlade und seinem Bel Canto Orchester, das nur aus einem Mann bestand, bildete einen provokanten Gegensatz zu den ansonsten recht zähflüssigen Veranstaltungen, die entweder in einem Verschwinden der Musik im Minimalismus kulminierten oder sich an der Schönheit eines weichgespülten Solopianos ergötzten. Letzteres vorgetragen von Galeshka Moravioff in seinen „Musiques Plastiques“, bei denen Mann nach einigen Minuten bereits zurück in seine Kindheit geworfen wird, aus der man sich mit zunehmender Adoleszenz mit einer berauschenden Mischung aus Ostfriesentee, intensiven Gesprächen und einem schüchternen Griff unter sich wölbende Pullover zu befreien gedachte. Das alles konnte nur gelingen mit dem passenden Soundtrack im Hintergrund, und der hieß meist: Keith Jarrett, Köln-Konzert. Heute, wo eine neue Generation pubertierender Erwachsener sich solchen Spielchen mit Musikuntermalung hingibt, schimpft man dies für gewöhnlich „New Age„-Kacke, einer der Protagonisten dieser Richtung ist der Pianist Steve Reich. Wie ihm gelingt auch Moravioff das Kunststück, das ewig gleiche Gehämmere so lange zu wiederholen, bis auch der letzte in meditativer Trance zerfällt. Aus dieser wird man im Ballhaus glücklicherweise durch den genervten Schrei einer Frau erlöst, die sich durch leises Öffnen einer Tür schon in ihrer Verinnerlichung bedroht fühlt: „Laßt endlich die Tür zu, verdammte Scheiße.“ Genau, aber von außen, um noch einemla die Gebrauchsanweisung zum Konzert aus dem Programmheft zu studieren, die da unmißverständlich lautet: „Seine Kreativität überwindet die Grenze zwischen Struktur und Morphologie und bewegt sich durch eine Kraft, die die Richtung des Ausdrucks fast zufällig bestimmt.“ Genauso banal wie diese Aussage ist auch das Flügelreiten des Mannes am Klavier, der sich in seinen säuselnden Wohlklängen hoffnungslos verheddert.

Einen Flop der aufwendigeren Art gab es tags zuvor in der Akademie der Künste zu bestaunen. Wie schon fast üblich in der Reihe „Geographie Musicale“, hatte ein Musikantenpärchen allerlei Computer, Blinklichter und High-Tech-Equipment auf die Bühne gestellt. Der hochtrabende Titel der Komposition von Karl Biscuit, der ansonsten Film- und Theatermusik schreibt, lautete: „Rhapsodie Orthopedik oder Folkloristische Klänge des 3.Jahrtausends.“

Solch eine Rhapsodie gehört ordentlich ausgeleuchtet. So hingen im hinteren Bühnenraum drei stilisierte Fahnen (Revolution!), die als Diaprojektionsflächen herhalten durften, des weiteren vorhanden: eine Video-Glotze (Paik!), eine Frau mit rotem Käppi (Moskau!) und als Clou zwei Goldfischgläser an den vorderen Bühnenrändern, ohne Fische aber mit Trockeneis, das von der Frau (mit Käppi!) regelmäßig nachgelegt wurde, damit es auch weiterhin so schön dampfen und brodeln konnte. Echt eindrucksvoll und unheimlich ästhetisch dieses Bühnenbild, mit einem gestylten Yuppie-Franzosen, der Syntheziser und Tonbänder „abfuhr“. Nur zu hören gab es eigentlich nichts, abgesehen von ein paar eingängigen Maschinen-Rhythmen. Nach einer knappen Stunde öffnet sich der schwarze Vorhang hinter Marcia Bemol und Franck Lievaart einen Spalt weit, starke Scheinwerfer blenden das Publikum, der Rhythmusteppich verebbt, die „Performer“ verschwinden, und wir sitzen allein da. Was will uns das garantiert wieder sagen: Ihr Konsumentenarschlöcher dort unten im Parkett geht alle auf die Apokalypse zu, das Ozonloch wird immer größer, ihr tut nichts dagegen, wir machen immerhin Musik. Verdammt aufklärerisch dieser Ansatz, damit man nachher seinen Kindern, von denen wir ja die Erde nur geborgt haben sollen, den Planeten für einen um so höheren Preis verschachern kann. Mit solch sterilen Lauten aus dem Computerlabor wird man das „3.Jahrtausend“ adäquat empfangen können, dann kann auch die Musik uns nicht mehr helfen.

Kommen wir zurück zu Pascal Comlades „Ti Amo“. Mit primitiven Kinderinstrumenten bekämpft das Duo die sich inzwischen wieder etablierende Meinung, man könne nur als perfekter Instrumentenbeherrscher „gute“ Musik produzieren. Das sollte sich eigentlich seit Geburt des Punks erledigt haben. Die beiden führen dem konsternierten Kunst-Publikum vor, daß es immer noch reicht, drei Griffe auf der Gitarre zu können und auf einem Spielzeugklavier zu klimpern, um große Popsongs nachzuspielen. Ob „Love Me Tender“, „Stand By Me“ oder eben „Ti Amo“, der Wiedererkennungswert bestimmt die Beliebtheit eines Songs. Verschmitzt grinsend führt uns die zweiköpfige Band die eigenen Erwartungen vor. Es geht nicht darum, Kreativität vorzutäuschen, wo sie nicht vorhanden ist und auch nicht einmal mehr nötig, um einen Hit zu landen. Die Konsumenten kaufen das Produkt Musik, wenn sie es in- und auswendig dahersingen können, nicht, wenn sie etwas Unbekanntes erwarten. Vielleicht sollte man nur Platten kaufen, die man nicht kennt und zu Konzerten von Musikern gehen, die man ebenfalls nicht kennt. Wenn die dann Sachen spielen, die man kennt, kann man glücklich und zufrieden nach Hause gehen.

Andreas Becker