Brenner demnächst von Lkws vollends verstopft?

Auf einer Tagung der Mailänder und Frankfurter Handelskammern formulierte die Lobby ihre Ansprüche auf freie Fahrt über die Alpen / Österreich und die Schweiz wollen mehr Vekehr auf die Bahn verlagern / Verdoppelung des Transportaufkommens bis zum Jahr 2000 droht  ■  Von Klaus-Dieter Käser

„Wenn Frauen und Kinder den Brenner blockieren, dann nehmen Sie auch nicht den Wasserwerfer und spritzen die Menschen dort weg.“ Mit diesen Worten machte Österreichs Verkehrsminister Rudolf Streicher auf einer Tagung der Industrie- und Handelskammer von Frankfurt und Mailand dem Auditorium klar, daß er Grenzen sieht in seiner Pflicht, den Transportwütigen aus Nord und Süd die freie Durchfahrt durch die Berge zu sichern. Klagen der Alpenbevölkerung über die zunehmenden Belastungen des Lkw-Verkehrs stellen für die Regierungen in Wien und Bern ein zunehmendes Problem dar. Die Tagung stand unter dem Titel Europäische Lösungen für den alpenquerenden Eisenbahnverkehr und sollte den gut 350 WirtschaftsvertreterInnen Hintergründe und Munition für die weitere Diskussion um den alpenquerenden Güterverkehr liefern. Hans Messer, Präsident der Handwerkskammer Frankfurt, formulierte in der einleitenden Pressekonferenz das indirekte Ziel der Tagung: „Sie können nicht zehn Jahre die Straße vernachlässigen, bloß weil dann die Eisenbahn verbessert werden kann!“ Die Kammern wollen weiter Druck machen auf die Schweiz, die sich bislang jeglichen Versuchen der EG verweigert hat, einen Straßenkorridor für 40-Tonnen -Lkws durch die Schweiz zu schaffen. „Administrative Behinderungen und das Nacht- und Sonntagsfahrverbot in der Schweiz, sowie die Geschwindigkeitsbegrenzungen und Kontingente in Österreich lehnen wir ab“, so Messer. Er begründet seine Forderung nach leistungsfähigen Straßen damit, daß heute rund 230.000 Tonnen Güter zischen der Lombardei und dem Rhein-Main-Gebiet per Lkw auf der Straße befördert wurden, und vier Fünftel dieser Lkw-Fahrten einen 330 Kilometer langen Umweg über den Brenner nehmen müßten. Insgesamt mache das 1,7 Millionen Tonnenkilometer aus, die die Wirtschaft bezahlen müßte. Sein italienischer Kollege Piero Bassetti zeigte sich freilich etwas flexibler und formulierte das Ziel der Wirtschaft so: „Für die Unternehmer ist das Transportmittel völlig egal, es muß nur schnell, leistungsfähig und vor allem billig sein.“ Und das könne auch die Schiene sein.

Für das Jahr 2000 erwarteten alle Teilnehmer der Tagung im Zuge der Liberalisierung des EG-Binnenmarktes eine Verdoppelung des Güterverkehrs über die Alpen. Für den Brenner würde dies eine Steigerung von heute eta 3.200 Lkws am Tag auf dann weit über 6.000 Fahrzeuge bedeuten. Der für Verkehr zuständige Schweizer Bundesrat Adolf Ogi machte deutlich: „Mit der Aufhebung der 28-Tonnen-Limite würden statt der heute 600.000 Lastwagen im Jahr plötzlich 1,5 Millionen schwere Lastwagen über die Alpen kraxeln.“ Statt heute gut 1.900 Lkws am Tag am Gotthard dann fast 5.000. Ogi hat seine Lektion offenbar gelernt. Noch vor einem halben Jahr ließ er einen Versuchsballon steigen, ob nicht doch ein 40-Tonnen-Korridor durch die Schweiz möglich wäre, und ging damit in einem Sturm von Entrüstung und Protesten unter. Heute macht er sich den radikaleren Teil der Schweizer Umweltschützer zunutze, die letzte Woche eine Initiative starteten, die jeglichen Alpengütertransit per Gesetz auf die Schiene verbannen soll. Ogi: „Daß überhaupt eine solche Initiative lanciert worden ist, zeigt die Stimmung im Alpenraum.“

Die beiden Verkehrsminister stellten in Frankfurt ihre Programme vor, mit denen sie wieder Herr der Lage und der Stimmen im nächsten Wahlkampf werden wollen. In Österreich, so Rudolf Streicher, soll ab 1991 ein Nachtfahrverbot für Lkws gelten, die nicht lärm- und abgasarm seien. „Österreich hat sich aufgrund der ökologischen Zwänge für den kombinierten Verkehr entschieden und wird hierfür eine ausreichende Schienenkapazität zur Verfügung stellen“, meinte Streicher. Bis 1992 soll so die Hälfte der heute auf der Straße fahrenden Lkws, 1.600 pro Tag, auf die Schiene verlagert werden können. Gemeinsam mit den Effekten einer mittelfristigen Schweizer Lösung, die etwa 500 Lkws aus Österreich abziehen soll, dürfte der allgemeine Verkehrszuwachs darauf hinauslaufen, daß 1994 nur noch etwa 2.400 Lkws auf der Brennerautobahn fahren würden. Nach Streicher würde ohne die Förderung der Schiene der Transitverkehr allerdings auf dann 4.300 Lkws pro Tag anwachsen: „Eine so große Zahl würde die Bevölkerung Tirols auf die Barrikaden bringen.“

Ähnlich das Schweizer Modernisierungsprogramm für die Eisenbahn. Bis 1991/93 soll das Angebot für den Lkw -Transport auf den bestehenden Bahnstrecken verdoppelt werden, bis 1997 sollen auch vier Meter hohe Lkws auf der Schiene transportiert werden können und bis zum Jahr 2010 der neue Eisenbahn-Alpentunnel fertiggestellt sein. Adolf Ogi sieht das Modernisierungsprogramm der Bahn nicht gegen das Auto gerichtet: „Wenn auf der Schiene nichts geschieht, sind stehende, stinkende Lastwagenkolonnen in den Alpenländern die Folge. Autobahnen würden zu Staubahnen, der Berufs- und Tourismusverkehr könnte nicht mehr vernünftig zirkulieren. Die Milliardeninvestitionen auf der Straße würden zu Fehlinvestitionen.“

Nicht nur ökologische Notwendigkeit, sondern auch wirtschaftliche Motive bestimmen also den Schwenk hin zur Eisenbahn. Unterstützung finden beide Länder nicht nur zu Hause, bei der betroffenen Bevölkerung und den Umweltschutzgruppen. Auch in der Bundesrepublik, aus der ansonsten die Stimmen der Lkw-Lobby hörbar sind, gibt es massive Unterstützung für die Pläne der Alpenländer. Der Bund für Umwelt- und Naturschutz (Bund) z.B. versucht Sympathien für die restriktive Lkw-Politik zu fördern. Klaus -Peter Gussfeld, Verkehrsreferent vom Bund in Baden -Württemberg, lobt die Schweiz: „Das Schweizer Gewichtslimit von 28 Tonnen und das bestehende Nacht- und Sonntagsfahrverbot für Lkws sind vorbildlich in Europa und aus ökologischer und sozialer Sicht lobenswert. Diese Regelungen sollten EG-weit eingeführt und nicht rigoros abgelehnt werden.“

Auf 16 Seiten begründet und formuliert der Bund die Notwendigkeit einer neuen Transitpolitik durch die Alpen. Darin werden auch Differenzen deutlich. Während die Alpenländer auf die Kräfte des Marktes setzen, der Preis und das Angebot solle die Verlagerung bewirken, kann sich Klaus -Peter Gussfeld vorstellen, den Alpentransit per Gesetz auf die Schiene zu verbannen.

Eingeladen waren die deutschen Umweltschützer in Frankfurt freilich nicht, lediglich als Pressevertreter konnten sie beobachtend teilnehmen. Unter anderem deshalb sollte sich niemand von Tagungen wie dieser zuviel versprechen. Der Druck auf die Regierungen in Wien und Bern, mehr zum Schutz der Alpen zu unternehmen, wird durch solcherlei Veranstaltungen wohl kaum erhöht. Immerhin nutzen sie die Chance, ihre Positionen gegenüber der deutschen Wirtschaft darzustellen. Wieviel davon rübergekommen ist, wird sich zeigen.