„Das monumentale Denken überwinden“

■ Der Chef der Kreuzberger Stadterneuerungsgesellschaft S.T.E.R.N., Prof. Hardt-Waltherr („Gustav“) Hämer, über rot-grüne Perspektiven für die künftige Berliner Wohnungs- und Stadterneuerungspolitik

taz: Entsprechen die rot-grünen Koalitionsvereinbarungen zur Bau- und Wohnungspolitik eigentlichen Ihren politischen Traumzielen?

Hämer: Das kann ich nicht sagen. Ich begrüße natürlich - und die Leute bei S.T.E.R.N. auch - daß bei den Koalitionsverhandlungen ganz wesentliche Inhalte tragfähig geworden sind, die wir seit Jahren vertreten.

Diesen demokratischen Inhalten wird nach ihrer These aber weiter ein „monumentales Denken“ in den Köpfen vieler progressiver Planer, Politiker und Verwaltungsleute entgegenstehen. Was verstehen Sie darunter?

Vor munumentalem Denken ist heute keine regierende Seite gefeit. Das ist vielleicht ein wenig umständlich zu beschreiben, aber vielleicht am einfachsten so: Wenn wir Probleme haben, machen wir daraus Projekte. Wie man mit Projekten umzugehen hat, weiß man. Da gibt es dann einen Vorstand, ein Direktorium oder was weiß ich, Geld wird bereitgestellt, eine Mannschaft wird bereitgestellt und ein Haus wird gebaut. Dann ist dieses Problem erst mal ad acta gelegt. Also, wenn du mit Kindern Probleme hast, machste 'ne KiTa, wenn du mit Alten Probleme hast, machste 'n Altersheim oder schaffst Beauftragte für Alte. Haste Probleme mit der kaputten Stadt, richtest du dann eine Institution ein wie die IBA oder S.T.E.R.N. und sagst: Das ist dein Problem. Das ist der eine Teil des monumentalen Denkens: Anstatt an die Probleme heranzugehen, wählt man eine Organisationsform, macht Projekte und beschließt darüber. Ob das jetzt die italienische Botschaft mit der Wissenschaft oder das Deutsche Historische Museum ist, im wesentlichen werden die Dinge abgehakt. Die Frage beim Museum ist eigentlich nur noch, magst du Aldo Rossi als Entwurfsverfasser oder nicht. Die Problematik, die wir mit unserer Geschichte haben, ist sozusagen hinter diesem Vorhang des Programms und des Monuments des Bauens verschwunden. Man kann das auch auf Formen des Umgangs miteinander übertragen. Wir werden von Jugend an von Angst- und Gewaltvorstellungen beherrscht. Wenn wir uns dieses verinnerlichte Herrschaftsverhalten nicht abgewöhnen, wird es immer ein „Durchsetzen von irgendwas“ mit Herrschaft, mit Macht geben - gegen die, die es dann betrifft. Die Frage „Wie können wir besser miteinander?“ muß so ernst genommen werden, daß die Leute, die die Schwächeren sind, wahrnehmen, daß das wirklich so gemeint ist.

Eine praktische Form der Lösung eines Problems soll der jährliche Bau von 7.000 neuen Wohnungen sein. Kann das nicht nur mit neuen Großsiedlungen an den Stadträndern auf Kosten des letzten Grüns geschafft werden?

Also Möglichkeiten für den Wohnungsneubau gibt es überall in der Stadt. Aber wie diese Möglichkeiten jetzt qualifiziert geprüft und verträglich in die Gebiete hineinkommen können, da ist durch dieses monumentale Bestimmen über andere nie ein rechter Ansatz gemacht worden. Es gibt ja Ansätze der Abstimmung in Kreuzberg in bestimmten Bereichen, wo wenige Häuser stehen. Dafür stehen woanders sehr viel mehr - die brauchen dann eine Brache. Als dann diese Anforderungen kamen, da ist sofort von oben gesagt worden, also den Block 104, den bebauen wir jetzt wieder. Gegen alle Abstimmungen sollte da Neubau gemacht werden. Ich bin der Meinung, man darf die Themen Neubau und Stadterneuerung gar nicht trennen. Die Stadt ist in einem ständigen Erneuerungsprozeß. Wenn man die an diesem Prozeß beteiligten Elemente nicht miteinander auf sinnvolle Weise in einem Netz von Beteiligungsformen verknüpft, wird es zu Konflikten kommen und diese 28.000 Wohnungen meiner Meinung nach nie geben. Wenn es gelingt, das Ganze als Stadterneuerungsverfahren unter Einbeziehung der Leute, die da sind, so zu machen, daß der Bonus des neuen Bauens auf breite Wirkung trifft, dann wird man aber die 28.000 Wohnungen leicht schaffen.

Gibt es denn im hochverdichteten Kreuzberg noch Platz für Neubauwohnungen?

Ach, da gibt es in der Manteuffelstraße Baulücken, da gibt es entlang dem Spreeufer Nutzflächen, die sind der Wirtschaft zur Verfügung gestellt worden, sind Senatslager. Leider sind da noch nicht einmal eine ausreichende Menge von Arbeitsplätzen untergebracht, weil die Dinger gar nicht der Nutzung zugeführt sind. Es gibt also, wenn nicht für Tausende, so doch für immerhin einige hundert Wohnungen Reserven, eingebunden in die Erneuerung von alten Wohnungen und Gewerbebetrieben, sowie die Füllung von Baulücken. Und da sind wir nicht am Ende.

Stichwort Stadterneuerung: Ihre Mitarbeiter haben jetzt eine Neufassung der bekannten zwölf Grundsätze der behutsamen Stadterneuerung vorgelegt. Soll das Kreuzberger Modell damit in andere Bezirke exportiert werden?

Also eigentlich ist fast alles an der Fragestellung noch nicht ganz richtig. Die Grundsätze sind in einer Zeit mal politisch durchsetzbar gewesen, als es 160, 180 Häuser in Berlin gab, die besetzt waren. Außerdem war damals eklatant deutlich, daß niemand mehr wußte, wie mit der kaputtgemachten Stadt umgegangen werden kann. Entwickelt worden sind die Grundsätze aus kritischen Fragen, die die Betroffenenvertretungen in der Dresdener und Wrangelstraße an diese Sonderinstitution IBA hatten, als die nach Kreuzberg kam. Jetzt haben Leute, die in der rot-grünen Verhandlungskommission versuchen, zu gemeinsamen Aussagen zu kommen, unter anderem die Anforderung gestellt, überprüft doch mal, ob die 1982 verabschiedeten Dinge heute noch zutreffen. Das waren ja nur politische Handlungsabsichten. Es kann sich also jetzt gar nicht darum handeln, neue Grundsätze zu haben. Für die Diskussion, wie kann es regional über Kreuzberg hinaus weitergehen oder auch innerhalb Kreuzbergs, braucht man natürlich aktualisierte Überlegungen zur politischen Situation. Die ist etwas anders als 1981 hier. Insofern ist es richtig, sich darüber den Kopf zu zerbrechen, was sollte man ändern, verbessern, tragfähiger machen.

Per se ist eine rot-grüne Senatspolitik für Sie noch kein Garant einer neuen Wohnungs- und Stadterneuerungspolitik?

Erstens bleibt die Verwaltung ja die gleiche. Die Zuständigkeit über die Verwaltungsebene ändert sich weder in Personen, noch in den Wegen. Es sei denn, daß es gelingt, die Verwaltung nach und nach immer mehr zu überzeugen, was ja zum Teil schon der Fall ist, an solchen Beteiligungsformen auch selber teilzunehmen. Da habe ich viel Hoffnung. Zweitens: Der Erfolgsdruck, unter der eine solche Koalition stehen wird, verführt sehr rasch dazu, daß mehr dem Erfolg als der Verträglichkeit zuliebe unternommen wird. Und da kann nur geheilt werden, indem man wach bleibt an der Basis und den Mißständen, die sich entwickeln, ganz energisch und natürlich auch fachkompetent entgegentritt. Die Anforderung an die da oben, ob sie rot, grün oder schwarz sind, bleibt zunächst mal die Anforderung an „die da oben“.

Interview: Thomas Knauf