: Gewaltverherrlichende Pornographie?
■ Anmerkungen zur Tradition unserer religiösen Bilderwelten
Die Verherrlichung des Kreuzes-Todes des Jesus von Nazareth durch römische Folterknechte hat unbeanstandet die Jahrhunderte überdauert. Wir wollen hier nicht in die Diskussion über die Bilddarstellung von Gewaltsexualität (gewöhnlich als Pornographie bezeichnet) einsteigen - das würde nur der Desorientierung und demnach der Verschleierung dienen -, doch ein Hinweis sei erlaubt. Wird landläufig Pornographie als Darstellung von Abscheulichkeiten im sexuellen Bereich begriffen, so stellt sich die Frage, wie können wir die unzählbaren Darstellungen des gepeinigten, entstellten Körpers eines ungefähr 33 Jahre alten Zimmermanns benennen?
Wie ist es nur möglich, daß über die Zeiten hinweg einer Leiche derartige Huldigungen entgegengebracht wurden und werden? Wie ist es zu erklären, daß diese nekrophile, sadomasochistische Zurschaustellung nie zum Bildersturm reizte? Wann schritt je ein Beamter des Jugendamtes gegen die Darstellung eines fast entblößten und gefolterten männlichen Körpers ein? Ist die fortwährende Zurschaustellung einer Leiche denn nicht nur jugendgefährdend, sondern auch eine lebensverachtende Huldigung des Todes? Ohne Sanktionen wird uns immer wieder das Grauen vorgehalten - der Gekreuzigte als Kulturgut. Mit welcher Berechtigung werden Beschlagnahmungen initiiert, wenn es um „gewaltverherrlichende Pornographie“ geht? Im Februar 1988 veranlaßten Mitglieder der Alternativen Liste in Berlin in Zusammenarbeit mit der Staatsanwaltschaft und der Polizei, daß einigen Pornoläden die Wichsvorlagen aus den Regalen entfernt wurden! Wer jemals im Rijksmuseum in Amsterdam war und das Bild des Malers ter Brugghen Der ungläubige Thomas gesehen hat, der weiß, was wir meinen. Auf diesem Bild bohrt der ungläubige Thomas mit seinem Zeigefinger in der Wunde Jesu. Die klaffende Wunde ist abscheulich. - Oder sehen wir uns Dürers Kopf des toten Christus an.
Ist diese, beinahe schon plakative Zurschaustellung des leidenden Menschen nicht eine Verhöhnung? Der Gefolterte wird ins Blickfeld gerückt, und mit Grauen beschleicht uns die Erkenntnis: Vergeblich ist der Widerstand. Triumph des staatlichen Terrors. Nicht das Ideal eines befreiten Menschen soll Wirklichkeit werden, nein, der Geknechtete, der Geschundene wird uns serviert. Da hilft auch nicht der Hinweis auf den „Erlöser-Tod“. Wir kennen den kultischen Kannibalismus: Der Körper das Brot, das Blut der Wein. Wie, in Jesu Namen, sollen denn aus dieser Gewaltorgie angstbefreite, hedonistische Menschenkinder erwachsen? Daß dies nicht beabsichtigt war noch ist, wissen wir, aber so ist die Frage immer noch nicht beantwortet: Wer schreitet gegen diese den Tod, die Gewalt Verherrlichenden ein?
Oder ein anderes Beispiel: Die Pieta des Jacopo da Bologna. Der malträtierte Körper des Folteropfers, verhungert, verdurstet, rettungslos verloren; der Schmerz der Frau. Atemberaubende Abscheulichkeit fügt sich vor dem sinnbildlichen Dreieck: Die Dreifaltigkeit Vater - Sohn Heiliger Geist. Das ist nur noch Propaganda der Pietätlosen, und diese Radikalität ist nicht um die Aufhebung der Schmerz - und Todesursachen bemüht, nein, alles deutet auf Verlängerung, Fortführung des Elends hin. Die EWIGE DROHUNG gegen den Menschen, das ist die Botschaft. Und man komme uns nicht mit dem Hinweis, dieser Kreuzes-Tod sei um der Menschen willen anzunehmen. Leichenstarre als lebensspendendes Elixier. Morbid, diese Vorstellung. Was ist schon Rambo eins, zwei, drei gegenüber diesem Behagen am Schmerz eines wehrlosen Mannes? Wer den Schmerz als Erlösungselement mit einer derart voyeuristischen Offenheit präsentiert, der war und ist prädestiniert, auf seiten der Folterknechte zu stehen. (Wir kennen das ja: Soutane unter dem Hakenkreuz; von den Klerikalfaschisten in Lateinamerika ganz zu schweigen.)
Es geht immer noch um die Verherrlichung der Gewalt. Nun muß man Dürer zugute halten, daß sein Christus am Kreuz, was die Raumaufteilung betrifft, als meisterhaft bezeichnet werden kann.
Der bleiche, aus Händen und Füßen und der Seite blutende, fast nackte Männerkörper - ein Objekt der Lust? Die Dornenkrone mit Gewalt in die Kopfhaut gepreßt, Blutstropfen rinnen über das angst- und schmerzverunstaltete Gesicht. Vor diesem Objekt bekennen sich knieend Abermillionen zu ihrem Gott. Jedem Heiden läuft es kalt über den Rücken, und ungläubig erstaunt fragt er: Wie ist es nur möglich, daß dieses gemarterte Fleisch als Kulturgut in die Geschichte eingehen konnte? Das Kreuz als Symbol der Vergeblichkeit!
Zum Exhibitionismus kam es nie. Nie wurde das Geschlecht entblößt, und doch signalisiert der fahle Körper, daß der Schmerz auch Lust bereiten kann. Wer nun gegen die Darstellung von Gewaltphantasien vorgehen will, ja, müßte der nicht brandschatzend Museen und Kirchen heimsuchen? Nicht von Scheinheiligkeit soll die Rede sein, das gehört zum Instrumentarium inquisitorischen Tatendrangs; die Verlogenheit derer ist gemeint, die vom Sinne der Utopie nie etwas verstanden haben. Der Tod des Gekreuzigten und dessen Verherrlichung im Bild wird von uns als Tod der Utopie beklagt. Der als Trost gemeinte Hinweis auf die Auferstehung ist nichts wert, denn zahlreicher als die Bilder des Auferstandenen sind die des Gefolterten.
So sind nun die Wunden Jesu die Würze des Grauens.
Und dieses Grauen gehört zum kulinarischen Instrumentarium der Klerikalen, wird im sakralen und profanen Raum als allgegenwärtig gehalten. Diese optische Knebelung ist die Kette, durch die die Gläubigen mit dem Grauen unzertrennlich verbunden sind.
Daß im Schmerz auch orgastische Lust lebendig ist, wissen wir, und nur Puritaner werden es leugnen. Ein Beispiel:
Dürers Kopf des toten Christus und die Jane aus sexy girls. Wo ist nun auszumachen, was Ausdruck eines simulierten oder realen Schmerzes ist? Zweifelsohne wird man Dürers Schmerzdarstellung eher glauben schenken als der photogenen Anmacherei der Jane. Oder? Fast ein halbes Jahrtausend trennt diese Bilder: Dürers Kopf - 1503; Jane 1982. Einerseits die klerikal sanktionierte Leidensmimik, andererseits das triviale, Lust suggerierende Pornobild. Die angeblich Gewalt verherrlichenden Pornos werden beschlagnahmt, aber das im Spannungsfeld zwischen Erschrecken, Ekel und latenter Lust am Leid zur Schau gestellte Folteropfer bleibt verschont. Welche Deformationen die seit Jahrhunderten andauernde Glorifizierung der Folter in den Seelen der Menschen bewirkt hat, ist nicht auszumachen. Als uns klar wurde, daß diese Form von Öffentlichkeitsarbeit der Klerikalen mit dem Medium des Gekreuzigten nicht nur menschenverachtend, sondern auch gewaltverherrlichend ist, erwogen wir, Anzeige nach Paragraph 184 StGB - Förderung und Verbreitung gewaltpornographischen Materials - gegen die Kirche zu erstatten. Bei der Durchsicht einiger Pornohefte fiel uns auf, daß viele pornographische Posen das Vorbild des Gekreuzigten haben.
Dürers Guter Schächer und die Nadja; beide fast nackt und wehrlos. Welche Faszination muß von einer derartigen Demütigung ausgehen?! Der gefesselte Mann, die gefesselte Frau, beide sind dem optischen Kannibalismus ausgeliefert: Das Auge frißt die Leiber.
Wer zum Beispiel die 14 Kreuzwegstationen aus Kalkstein im Altenberger Dom lange genug betrachtet (nicht der künstlerischen Qualität wegen, die ist minimal, 1936 entstanden), verläßt den gotischen Dom nicht in einem euphorischen Rausch; Niedergeschlagenheit ist der Preis für die Besichtigung. Vierzehn Stationen der Qual, der Gewalt, die im Tod endet. Nun wissen wir ja, daß genau dies beabsichtigt ist: Im irdischen Jammertal ist die Szenerie des Leidens überall gegenwärtig, kein Entrinnen ist möglich.
Dankend entnommen: F. Amilie, Robert Halbach, Bernd Kramer: Ich hasse zu hassen, Karin Kramer Verlag, 165 Seiten, 13,80 DM
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