"Ein paar kleine Dlochstiche"

■ Frida kahlo: Im Verlag Neue Kritik erschien das Gesamtwerk der mexikanischen Malerin

Sie ist die Frau mit dem ernsten Gesicht. Fast niemals sieht man sie lächeln. Bekannt ist sie bei uns durch ihre Selbstporträts. Sie malt das Leiden. Den zerschundenen Körper. Sie malt sich selbst ihr ganzes Leben lang, umgeben von Tieren und einer Fülle verschiedener Gegenstände. Sie war einsam. Sie war schön, geistreich und anziehend. Sie wurde von Kritikern und der Öffentlichkeit geschätzt.

Die Rede ist von Frida Kahlo, über die Diego Rivera, der mexikanische Künstler, den sie mit zweiundzwanzig geheiratet hat, sagt: „Sie ist die erste Frau in der Geschichte der Kunst, die mit absoluter und schonungsloser Aufrichtigkeit, und man könnte sagen, mit ruhiger Gewalt, diejenigen allgemeinen und besonderen Themen aufgriff, die ausschließlich Frauen betreffen.“

Ein Satz, dem die Abgrenzung anzumerken ist. Und die Bewunderung. Frida Kahlos Bilder berichten vom Schrecken: das mit Pfeilen durchbohrte Reh, die mit kleinen Dolchstichen getötete Frau auf weißem Laken, keine schönen Bilder. Man will sich wegdrehen, wenn man vor ihnen steht. Dieses viele Blut, der Tod, die oft unheimlich anmutenden Symbole, die Zerstückelungen.

Man wird selbst unruhig, bedrückt und ist fasziniert. Sie malt das Innere, sieht durch das Äußere hindurch, macht es durchsichtig, so daß nichts mehr verborgen bleibt. Das Versteckte, nicht Sichtbare, was beängstigt, hervorholen, ihm so ein Stück seiner Magie, seiner Gewalt nehmen. Klein liegt sie in den Armen einer großen dunklen Frau. Ein Mädchen mit dem Kopf einer Erwachsenen. Sie trinkt aus der Brust der Frau. Aus der anderen Brust tropft Milch, die wie Tränen aussieht. Die Brust, die nährt, ist durchsichtig. Das Gewebe erinnert an einen wunderschönen Baum. Das Bild heißt: Meine Amme und ich. Es ist von 1937, Öl auf Metall, und soll nach Helga Prignitz-Poda das Erkennen ihrer lesbischen Liebe darstellen.

Bilder, Farben, Unruhe. Ein wunderschöner Werkkatalog, zu allem was sie gemalt, gezeichnet, gebastelt hat, ist im Verlag Neue Kritik, Frankfurt erschienen. Herausgegeben von zwei Kunsthistorikerinnen, Helga Prignitz-Poda und Andrea Kettenmann und von dem Psychiater Salomon Grimberg. Vier Jahre lang haben die HerausgeberInnen recherchiert, um zahlreiche, kaum bekannte und für verschollen gehaltene Bilder zu finden. Ausführliche Essays der HerausgeberInnen berichten über Frida Kahlos Leben, ihre Bilder, die Zusammenhänge, wie sie was, wann, warum gemalt hat. Mexikanische SchriftstellerInnen und KunstkritikerInnen haben darüber hinaus für den Band einzelne Bildinterpretationen geschrieben. Neben einer ausführlichen Bibliographie, sind alle Ausstellungen und Kataloge vermerkt. Außerdem hat der Band einen Katalog der einzelnen Bilder, die chronologisch aufgeführt sind, mit Interpretationen, kleinen Hinweisen, Übersetzungen und teilweiser Symbolerklärung. Ein durch und durch sorgfältig gemachtes Buch, was seinen Preis wert ist.

Frida Kahlo wurde 1907 geboren. Ihr Vater litt an epileptischen Anfällen. Sie hatte als Kind Kinderlähmung und mit achtzehn einen schweren Unfall. Der Bus, in dem sie saß, stieß mit einer Straßenbahn zusammen. Zeit ihres Lebens leidet sie an den Folgen. X-mal ist sie operiert worden, einmal wurden ihr die Zehen amputiert, ein anderes Mal Knochen in die Wirbelsäule gepflanzt. Sie konnte keine Kinder haben wegen „Infantilismus der Ovarien“. 1929 heiratet sie Diego Rivera. Sie malt ihn später mit einem dritten Auge, um die Bedrohlichkeit auszudrücken, die von ihm, an dem sie so sehr hängt, ausgeht. Er ist nicht treu, sie leidet. Aber sie malt. 1935 notiert sie, sie habe „zwölf Malereien, alle klein und unbedeutend, mit denselben persönlichen Darstellungen, die nur für mich von Bedeutung sind, und sonst für gar keinen“. 1937 fängt sie an zu trinken. Sie läßt sich von Diego scheiden, heiratet ihn später ein zweites Mal. Zum Ende ihres Lebens malt sie ein Selbstbildnis mit Stalin. Sie sitzt vor seinem Bild, sein Bild ist auf der Staffelei, daneben der Globus, sie trägt einen roten Umhang. Ein weiteres Bild aus der Zeit heißt Der Marxismus wird die Kranken heilen, mit dem Kopf von Marx und ihren zur Seite fallenden Krücken. Sie stirbt 1954 mit nur vierundvierzig Jahren. Meine Lieblingsbilder sind die Stilleben mit den Früchten. Lebendiges Leben heißt eines davon, es sind runde Früchte, Melonen, Orangen, Früchte, die wie Vaginas aussehen, manchmal verschlossen, manchmal offen, aufgeschnitten, mit oder ohne Kerne, Kokosnüsse, die Tränen vergießen, erotische Bilder. So weich und rund und mit feinen Häarchen, so aufregend farbig, rot, grün, gelb, und ein Mond dazu. Bilder, die laut Interpreten über ihr erotisches Verhältnis zu Diego Rivera berichten.

Frida Kahlo, Das Gesamtwerk, Verlag Neue Kritik, Frankfurt 1988, 85 DM