CDU-Rechnung ging nicht auf: Die Hessenwahlen in Zahlen - Kreis für Kreis und Stadt für Stadt

Frankfurt (taz) - Deutlicher noch als bei den landesweiten Durchschnittsergebnissen wir das Wahlfiasko der CDU und ihres Bonner und Wiesbadener Koalitionspartners FDP bei den Kreiswahlergebnissen: Lediglich im Kreis Fulda konnten die Christdemokraten ihre absolute Mehrheit halten. In den Kreisen Bergstraße (AKW Biblis), Darmstadt-Dieburg (von CDU und FDP geplante Mülldeponie in der Grube Messel), Gießen, Lahn-Dill, Marburg-Biedenkopf, Offenbach, Vogelsberg, Waldeck-Frankenberg und Main-Kinzig gibt es zumindest rein rechnerisch rot-grüne Mehrheiten. Teilweise konnten bestehende rot-grüne Koalitionen ihre Mehrheit ausbauen. In fast allen Kreisen gewannen sowohl die Genossen als auch die Ökopartei dazu. In sechs Kreisen schaffte die SPD absolute Mehrheiten mit teils niederbayerischen Ergebnissen (Kassel: 50,5 Prozent).

Im Umlandverband Frankfurt, einer regionalen Gebietskörperschaft, in der 42 Gemeinden im Rhein-Main -Gebiet vertreten sind, schaffte Rot-Grün den Sprung über die 50-Prozent-Marke. Der Umlandverband ist unter anderem für zentrale Themen wie den regionalen Raumordnungsplan und die Abfallentsorgung im Verbandsgebiet zuständig.

In den kreisfreien Städten nimmt sich das CDU-Debakel teilweise noch schlimmer aus: In Kassel kann die SPD mit absoluter Mehrheit allein weiterregieren. In Wiesbaden schaffte der im Streit um die Stationierung von US -amerikanischen Militärhubschraubern auf der Air-base Erbenheim profilierte Sozialdemokrat Achim Exner 49,5 Prozent (1985: 43,9). Mit der CDU ging es steil bergab: von 42,1 auf 33,4 Prozent. Die Grünen kamen in Wiesbaden auf 8,8 Prozent (6,9). In der Lederstadt Offenbach wurde die rot -grüne Koalition bestätigt. Die Grünen gewannen fast soviel wie die SPD verlor (SPD 40,1, Grüne 10,1 Prozent; 1985: 43,3 bzw. 8,3). Im südhessischen Darmstadt, wo Oberbürgermeister und SPD-Rechtsaußen Metzger mit einer großen Koalition aus Genossen (42,9 nach 45,6 Prozent), Christdemokraten ( 26,8 nach 33,7 Prozent) und Liberalen (6,0 nach 9,5 Prozent) gegen die Grünen regierte, schaffte die einzige Oppositionspartei eine Stimmenverdopplung. Die Ökos legten um 9,5 Prozent auf jetzt 19 Prozent zu. In der Stadt Kassel kam die SPD auf 60,5 Prozent (51,7). Die Grünen legten auf 12,3 Prozent zu (8,5)

In den mittelhessischen Universitätsstädten Gießen und Marburg erreichten die Grünen ebenfalls Ergebnisse weit über dem Landesdurchschnitt. In Marburg kamen die Ökos auf 17,5 Prozent (11,3 Prozent). Hier hatten sich gegen die von der Hoechst-AG-Tochter Behringwerke geplante Gentechnikanlage außer den Grünen auch die DKP ausgesprochen, die auf 5,8 Prozent kam. Trotz Stimmenverlusten der SPD (36,9 nach 49,8 Prozent) ist hier eine Fortsetzung der rot-grünen Koalition möglich. In Gießen gewannen sowohl Genossen (45,6 Prozent gegenüber 40,3 Prozent) als auch Grüne (13,8 Prozent nach 8,4 Prozent). Im Atomdorf Hanau konnte die SPD ihre absolute Mehrheit (52 Prozent) nicht ausbauen. Die Grünen bekamen 8,8 Prozent der Stimmen (5,6).

In der Bischofsstadt Fulda verlor die CDU ihre absolute Mehrheit (47,9 nach 50,9 Prozent) und muß sich jetzt einen Koalitionspartner suchen. In der südhessischen Opelstadt Rüsselsheim scheiterte die Spontiliste („fNepp“) nur knapp an der Fünfprozenthürde, die Grünen kamen auf über 12 Prozent. In Mörfelden-Walldorf an der Startbahn West schafften die GBL 15,3 Prozent (1985 noch 17,0) und die DKP 10,3 Prozent (4,3). In Langen, wo die rechtsradikale N.S. um den Neonazi Kühnen antreten wollte, kamen die Grünen auf 14,1 Prozent (11,1). In Biblis behielt die CDU trotz der Störfälle im AKW die absolute Mehrheit (50,5 Prozent). Während die SPD (39,3 Prozent) Stimmeneinbußen hinnehmen mußte, kamen die Grünen mit ihrer Forderung: „Biblis abschalten!“ auf 10,2 Prozent. In Dreieich, dem Standort der dioxinbelasteten Hausmülldeponie Buchschlag, hat Rot-Grün eine rechnerische absolute Mehrheit geschafft (SPD 37,8, Grüne 12,9 Prozent). In Erlensee, wo ebenfalls die Stationierung von weiteren US-Hubschraubern für Aufregung sorgte, erreichte die SPD fast 62 Prozent, die Grünen kletterten über die 10-Prozent-Marke. In Mainhausen im Landkreis Offenbach, wo nach dem Willen der Wiesbadener CDU -FDP-Koalition die zentrale Giftmülldeponie Hessens in Betrieb gehen soll, erreichte die örtliche CDU über 60 Prozent (44,3). Deren Bürgermeister, Dieter Gröning, ist allerdings ein Deponiegegner. Die Grünen blieben (nach dem gescheiterten lokalen schwarz-grünen Bündnis vor vier Jahren) unter der Fünfprozenthürde (4,9 nach 6,3 Prozent 1985). Die SPD kam auf 34 nach 47,6 Prozent 1985. Im südhessischen Biebesheim, wo die bestehende Giftmüllverbrennungsanlage noch erweitert werden sol, konnten die Grünen ihren Stimmenanteil auf fast 14 Prozent verdoppeln.

M.B.

Infas-Analyse

Hamburg (dpa) - „Die Kommunalwahl in Hessen war beides zugleich - Abstimmung über die große Politik und Entscheidung über lokale Interessen.“ Diese Erkenntnis steht am Anfang einer Analyse des Infas-Instituts. Weiter:

„Aufs Ganze gesehen, setzten sich die Stimmenverluste der CDU (um minus 6,8 auf 34,3 Prozent) fort. Örtlich betrachtet indessen gab es ein buntes Hin und Her an Wählerbewegungen: Die Wähler haben sich ernsthaft mit den Lebensbedingungen in ihrer Nahwelt auseinandergesetzt und sich dabei von traditionellen Bindungen an die Parteien teilweise emanzipiert. Denn die Landkarte der politischen Veränderungen zeigt in den 426 hessischen Gemeinden für alle Parteien mal Gewinne, mal Verluste.

In Frankfurt ging über die Hälfte der CDU-Verluste mit Gewinnen der NPD einher. Sie bekam mit 6,6 Prozent fast doppelt so viel Zulauf wie die SPD (plus 1,5) und Grüne (plus 2,1) zusammen. Die Strategie der CDU ist nicht aufgegangen. Zwar wurde die Ausländerfrage in Frankfurt zum beherrschenden Thema in den letzten Tagen eines emotionalisierten Wahlkampfes. Entsprechend stieg die Wahlbeteiligung um 4,6 Prozent, doppelt so stark wie im Landesschnitt (plus 2,3). Das Ergebnis aber: Wähler links der Mitte solidarisierten sich in ihrer eher „roten“ oder „grünen“ Identität, und die am rechten Flügel wurden motiviert, statt der CDU die in der Ausländerfrage fundamentale Alternative NPD zu wählen.

Auch in den 421 kreisangehörigen Gemeinden sind die Wähler bei aller Kritik an der Regierung in Bonn oder Wiesbaden zunächst einmal örtlichen Konfliktlinien gefolgt. So hat die CDU in mehr als zehn Prozent der Gemeinden Stimmen nicht verloren, sondern gewonnen.“