Zwei Drittel aller paraguayischen Autos gestohlen

Mit General Stroessner wurde einer der korruptesten Clans der Welt entmachtet / An dem Wirtschaftsmodell dürfte sich jedoch in Zukunft nur wenig ändern  ■  Aus Asuncion Gaby Weber

Die Figur hätte der Phantasie des Schriftstellers Gabriel Garcia Marquez entspringen können: Cesar Romeo Acosta, jahrelanger Präsident der paraguayischen Zentralbank. Kurz nach dem Februar-Putsch packte er seine Siebensachen zusammen und verschwand mit einem großen Koffer voller Dollarscheine, Schweizer Fränkli und deutschen Märkern in Richtung Argentinien und quartierte sich in der Grenzstadt Ita Enramada ein. Doch sein Chauffeur war im Polizeiverhör nach mehreren über seinem Kopf abgefeuerten MP-Salven weich geworden und hatte den Fahndern sein Hotel genannt: „El Encuentro“ - die Verabredung, ein Etablissement des horizontalen Gewerbes. Dort wurde der einstige oberste Geldverwalter des Landes samt Köfferchen festgenommen und wartet im Moment auf seinen Prozeß. Acostas Verhaftung durch die neuen Machthaber des Rodriguez-Regimes markiert eine neue Etappe, die wenig mit der erhofften Demokratisierung zu tun hat, aber ein geändertes Kärfteverhältnis der ökonomischen Interessengruppen in Paraguay beschreibt.

Über Acostas Schreibtisch waren die Betrügereien mit Devisen gelaufen, die dem Staat einen Schaden von einer halben Milliarde Dollar einbrachten. Jahrelang genehmigte er gefälschte Importbescheinigungen, mit denen die Zentralbank dem Händler billige Dollars zum offiziellen Kurs zuteilt. Statt für einen Dollar den (realistischen) Schwarzmarktkurs von 1.050 Guaranies zu bezahlen, erhielt der Importeur von der Zentralbank den grünen Geldschein für 550 Guaranies. Die Dollar wurden umgehend auf dem Schwarzmarkt für das Doppelte verkauft. Logische Folge: Vor drei Jahren stand die Zentralbank vor dem Bankrott, und der Schwindel sorgte international für Schlagzeilen. Seiner Verhaftung wegen der Devisenschieberei entging Acosta mit einem öffentlichen Hinweis, daß er vor allem in die Tasche des Stroessner-Sohns Gustavo gewirtschaftet hatte. Stroessner senior beließ seinen Zentralbankchef daher auf dem wichtigen Posten. Die Zentralbank wurde durch ausländische Kredite wieder liquide gemacht. Die paraguayische Auslandsschuld liegt heute bei 2,4 Milliarden Dollar. Der Stroessner-Clan soll insgesamt 1,8 Milliarden Dollar auf Schweizer Konten deponiert haben, darunter auch die Acosta-Devisen.

Der Schmuggel hat eine größere wirtschaftliche Bedeutung als der legale Handelsaustausch, der etwa 1,3 Milliarden Dollar ausmacht, wie die Interamerikanische Entwicklungsbank schätzt. Nach Recherchen der taz kommt die Hälfte der geschmuggelten Waren aus Brasilien, 30 Prozent aus Argentinien und 20 Prozent aus den asiatischen Ländern.

Das Drogengeschäft erlaubt, daß trotz negativer Handelsbilanz massenhaft Luxusgüter eingeführt und der Schuldendienst bedient werden können. Paraguays offizielle Statistik beziffert die Importe mit 660 Millionen Dollar, die Exporte - die vor allem in Soja und Baumwolle bestehen mit nur 511 Millionen.

Noch in den sechziger Jahren dauerte die Reise in die 350 Kilometer von Asuncion gelegene Grenzstadt Puerto Stroessner eine Woche, es gab nur einen Trampelpfad durch den Dschungel. Heute ist die Stadt, die seit Februar „Stadt des Ostens“ heißt, über die Landstraße in vier Stunden zu erreichen, und ein großer supermoderner Flughafen ist in Planung. Von der „Stadt des Ostens“ führt eine Brücke nach Foz do Iguazu auf der brasilianischen Seite. Diese Brücke wird nicht kontrolliert. Die paraguayische Regierung hatte in Kauf genommen, daß für viele Verfolgte die Brücke eine Hintertür ins Nachbarland war. Heute gleicht die „Stadt des Ostens“ Hongkong: In Geschäften, auf Tapeziertischen am Straßenrand und von Bauchladen-Verkäufer werden dem Besucher Billigware aus aller Welt angeboten, Textilien, Haushaltsgeräte, Taschenrechner und Fotoapparate.

Der Schmuggel war und ist von der regierenden Colorado -Partei kontrolliert. Nach der Stroessner-Entmachtung wurde in der „Stadt des Ostens“ auf der Suche nach Waffen die Wohnung des örtlichen Parteichefs Juan Pereira sowie das Parteibüro durchsucht. Man fand zwar keine Waffen, aber Schmuggelware, für die vier Lastwagen anrücken mußten: Fernseher, Radios und Elektrogeräte. In den Nebenstraßen häufen sich die Berge von Styropor und Pappkartons. Nur Sonntags, am Tag des Herrn, wenn sogar die Wechselstuben dicht sind, kann man in der Stadt spazieren gehen.

Über die „Stadt des Ostens“ wurden auch die in Brasilien gestohlenen Autos verschoben. Etwa zwei Drittel aller auf paraguayischen Straßen fahrenden Pkws wurden im Nachbarland gestohlen, für diese „Autos mit nicht geklärter Herkunft“ bekommt der Hehler gegen eine geringe Verwaltungsgebühr bei den paraguayischen Behörden ganz legale Wagenpapiere. Sie gelten natürlich nur im Land, von Auslandsreisen ist abzuraten. Viele brasilianischen Versicherungen sind inzwischen zur Selbsthilfe übergegangen und schicken Profidiebe nach Paraguay, um die gestohlenen Autos zurückzustehlen.

Der Schmuggel hält die Betriebskosten gering, an der Brücke in der „Stadt des Ostens“ werden nur fünf Prozent des Wertes als Bestechungssumme gezahlt. Und wenn wider Erwarten in Asuncion ein Kontrolleur fündig wird, ist die Festsetzung der Geldstrafe Verhandlungssache, sie liegt durchschnittlich bei 30 Prozent des Zolls.

Meistens wird aber zur Schmuggelware gleich die Sicherheit geliefert, wer bei Gustavo Stroessner japanische und koreanische Elektronik-Billigware eingekauft hat, umging nicht nur Zölle und Steuern, sondern im Preis war auch der Schutz vor Inspektionen inbegriffen.

Die Fertigstellung des brasilianisch-paraguayischen Staudammes Itaipu 1982 fiel zusammen mit dem Ausverkauf des Bodens an ausländische Spekulanten, das heißt die Bauernsöhne finden weder ein eigenes Stück Land noch einen Job in der Industrie. Es verkleinerte sich der Binnenmarkt und die Nachfrage, es vergrößerte sich die soziale Schere. Von der ohnedies stets kleinen Mittelklasse ist in Paraguay heute nichts mehr übrig geblieben. Weil es im Geldbeutel nicht mehr reicht, sind die Kinos und Fußballstadien leer, sagt der Hochschullehrer Agustin Flecha. Nach seiner Schätzung sind 72 Prozent der paraguayischen Bevölkerung arm, 30 Prozent davon „extrem arm“. Auf der anderen Seite wird unglaublicher Luxus zur Schau getragen, wie ihn kein anderes südamerikanisches Land kennt. Erst in letzter Zeit wurden der Yachtklub und das Super-Luxus-Hotel Excelsior gebaut. In den Vororten der Hauptstadt sind hinter riesigen Mauern wahre Paläste entstanden, der schönste und größte gehört dem neuen Machthaber des Landes, General Andres Rodriguez. Es hat die Ausdehnung eines ganzen Häuserblocks und ist die getreue Imitation des „Chalet de Chambord“ mit Türmchen, Giebelchen und allem möglichen Kitsch. Rodriguez ist durch die Drogen groß geworden, aber auch seine Wechselstube „Cambio Guarani“ hatte finanzielle Transaktionen wie eine Bank ausgeführt. Sie war wenige Tage vor dem Putsch geschlossen worden und ist inzwischen wieder in Betrieb.

Der Rodriguez-Clan besitzt die große Elektrodenfabrik Ytarendy und eine Draht-Fabrik. Diese Produkte durften noch nie importiert werden. Da die Produktion aber nicht mit der Nachfrage nachkam, wurde trotzdem geschmuggelt. Wer in diesem Fall erwischt wurde, ist seine gesamte Ware los. Zu ernsten Marktverschiebungen durch den Putsch ist es an der Bierfront gekommen: Rodriguez und der neue Vize in der Regierungsjunta, Blas Riquelme, besitzen die Brauerei „Munich“. Der Stroessner-Clan machte über „Pilsen“ und „Bremen“ beste Geschäfte. Seit Februar ist „Munich“ im Auftrieb.

Am Wirtschaftsmodell wird das neue Regime mit Sicherheit nichts ändern. Aber die Karten und die Interessen werden neu verteilt. Entgegen anfänglichen Ankündigungen wird nur dem harten Kern der Stroessner-Anhänger der Prozeß gemacht. Diese Zwölf Personen müssen sich nur gegen einen einzigen Anklagepunkt verteidigen: Persönliche Bereicherung durch Griff in die Staatskasse. Doch bei dem Prozeß wird wohl wenig herauskommen. „Man hat nicht ermittelt, und die Staatsanwaltschaft legt nicht das nötige Interesse an den Tag“, erklärte Rechtsanwalt Pedro Rolon, der dem Gericht Beweismaterial vorgelegt hat. Der Rechnungshof der Republik sei praktisch tot, und niemand kontrolliere die Staatsausgaben. Ein Antrag der paraguayischen Anwaltskammer, eine Kommission zur Ermittlung von Korruptionsfällen während der Stroessner-Diktatur einzusetzen, landete unbehandelt in den Schubladen.