Der Baum der Erkenntnis ist die Frau

■ Uraufführung im Theater am Leibnizplatz / „Wo ich die Welt anseh, möcht ich sie umdrehen“ Von Dagmar Papula in der Regie von Norbert Kentrup und Pit Holzwarth

Das Stück beginnt damit, daß es seine Position bestimmt, sein Interesse: den Blick von heute auf damals, auf zwei schreibende Frauen, auf eine Frauenfreundschaft, Karoline von Günderode, Bettina von Brentano. „Ein Zufall kann es nicht sein, daß wir begonnen haben, den Abgeschriebenen

nachzufragen, ... fasziniert durch Verwandtschaft und Nähe, wenn auch der Zeiten und Ereignisse eingedenk, die zwischen uns und denen liegen.“ (Christa Wolf, in ihrem Essay über die Günderode) Die zwei Schauspielerinnen, Dagmar Papula, Petra Schmid, sitzen auf dem Rand der Bühne,

halb schon im Kostüm, zitieren abwechselnd. Dann aber springen sie auf die Bühne, ziehen den schwer fallenden, weinroten Vorhang zur Seite, schlüpfen in Kostüm und Rolle: die quirrlige Bettine, die auf dem Stuhl wippt und reitet und mit ihm durchs Zimmer purzelt; die Karoline, die Haltung

bewahrt, aufrecht, nach außen gefaßt auf ihrem Stuhl sitzt. Aber die Kosten dieser Selbstkontrolle sind bald zu sehen: Herzschmerzen, Kopfschmerzen quälen sie.

Zwei Frauen im Gespräch. Sie reden über Gott und die Welt. Miteinander redend entwickeln sie ihre Gedanken. Sie wollen sich nicht bescheiden, sich nicht beschränken auf das, was ihnen als Frauen von ihrer Zeit zugestanden wird. Sie wollen schreiben. Nicht nur Briefe. Die Günderode erzählt Bettine, sie habe den Plan gefaßt - und sie will sich auch ein Herz fassen: ein Drama zu schreiben. Und Bettine, in ihrer ganz anderen, sprudelnden, redend erst die Gedanken entwickelnden Art, träumt davon, eine Religion zu stiften, die „Schwebereligion“, in der kein Gott, keine gesetzte Autorität mehr das Sagen haben soll. „Man nehme die Frucht vom Baum“ sagt sie, ein plötzlicher Gedanke, der ihr zufliegt, mit doppelter Bedeutung: sie will sein, wie die „Lilien auf dem Felde“ - und sie will vom „Baume der Erkenntnis“ essen.

Die Bühne ist fast leer. Der Boden: mit einem in reiche Falten gelegten weißen Tuch ausgeschlagen. Weiße Vorhänge begrenzen auch den Bühnenraum, bilden ein dreieckiges Zimmer. Darin zwei Stühle. Ein schöner Raum, der den Blick auf die zwei Frauen konzentriert, eine Atmosphäre schafft, in der man nachempfinden kann, wie Bettine und „das Günderödchen“ „symphilosophieren“, wie sie träumen, sich von ihren Hoffnungen, ihren Ängsten erzählen: vom Schreiben. Sparsam sind die Gesten, das Spiel, die Requisiten. Im Zentrum steht die Sprache, die fremde, musikalische Sprache, die inhaltliche Nähe und zeitliche Distanz in sich aufhebt. Dagmar

Papula montiert, collagiert ihren Text aus Briefen, aus Gedichten der Günderode, der Bettine, fügt, im Tonfall, im Rhythmus nachempfunden, eigene Sätze ein, wenige, wenn mein Gehör mich nicht trügt. Dazwischen, als reflektierendes Innehalten, immer wieder Zitate von Christa Wolf, die Klammer zum Heute. Eineinhalb Stunden: fast nichts als Gespräch. Und doch entsteht keine Langeweile. Das Spiel von Dagmar Papula und Petra Schmid nimmt gefangen, die Bettine und die Günderode stehen einem lebhaft vor Augen, und von Szene zu Szene wird deutlicher, daß die kindliche Naivität für Bettine der Schutz ist, der sie am Leben hält, daß für die Günderode kein Ausweg besteht, daß ihr nichts anderes bleibt als der Selbstmord.

„Wo ich die Welt anseh, will ich sie umdrehn“ ist, nach „Kopfkrieg“, Dagmar Papulas zweites Stück, in dem sie sich mit zwei schreibenden Frauen beschäftigt, mit einer Frauenfreundschaft. Die Freundschaft der Mädchen in „Kopfkrieg“ zerbricht bald: an Eifersucht, Mißgunst. Und damit quält sich die eine, Picolo, noch als erwachsene Frau, der Krieg der Kinder hat sich in ihren Kopf verlegt.

Auch die enge, fast symbiotische Freundschaft zwischen der Günderode und Bettine hält nicht stand: die Günderode kann Bettines Wurschtigkeit, ihr „vom Hölzchen aufs Stöckchen -Denken“ nicht aushalten, mit dem sie ihre Talente zu verschleudern drohe. (Daß da noch ein Mann die Finger im Spiel hatte, Friedrich Creuzer, läßt Dagmar Papula außen vor; sie konzentriert sich auf die Frauen.) Aber die Freundschaft zerbricht nicht ganz, sie schreiben sich noch Briefe. Hoffnung, genährt aus der Vergangenheit. Christine Spies